Süddeutsche Zeitung

Polen:Erstes Ja zu den EU-Milliarden

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Im Streit über den Wiederaufbaufonds zerbricht beinahe die Regierungskoalition. Dann erhält die rechtsnationale PiS plötzlich Unterstützung von der Linken.

Von Florian Hassel, Warschau

In einer Sondersitzung hat das polnische Parlament dem geplanten 750-Milliarden-Euro-Fonds der EU zugestimmt. Bei der entscheidenden zweiten Abstimmung im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, stimmten 290 Abgeordnete mit Ja, 33 dagegen, 133 enthielten sich der Stimme. Das Parlament stimmte so nicht nur dem auf Pump finanzierten EU-Fonds zu, sondern gab auch der Regierung grünes Licht für die Verteilung des auf Polen entfallenden Geldes: 23,9 Milliarden Euro Zuschüsse, 12,1 Milliarden Euro zinsgünstiger Kredite. Der Senat, das oppositionskontrollierte Oberhaus, kann seine Zustimmung verweigern, der Sejm kann dies jedoch mit einfacher Mehrheit überstimmen.

Das klare Abstimmungsergebnis verbirgt tiefe Konflikte. Kritiker fürchten, dass die EU-Milliarden Polens zunehmend autoritär auftretende Regierung vor der nächsten Wahl 2023 Milliarden zur Versorgung der eigenen Klientel in die Kasse bringen. Im Zentrum der Kritik steht Polens Linke. Diese ist gewöhnlich ein Gegner der Regierung, doch stimmte nun mit ihr und machte so die Annahme des umstrittenen Gesetzes überhaupt erst möglich. Analysten sehen dies als Schwächung der Opposition und Stärkung der zuvor angeschlagenen Regierung.

Die nationalpopulistische Regierungskoalition aus den Parteien PiS von Jarosław Kaczyński, dem "Solidarischen Polen" von Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro und der "Verständigung" von Jarosław Gowin kommt in Umfragen teils nur noch auf 30 Prozent, nach 43,6 Prozent bei der Wahl im Oktober 2019. Der Regierung setzt die Corona-Pandemie ebenso zu wie Korruptions- und Justizskandale und der Zorn von Millionen Polinnen nach einem faktischen Abtreibungsverbot durch das politisch kontrollierte Verfassungsgericht.

Nun stand die Koalition beinahe vor dem Ende: Justizminister Ziobro, der den Abbau des Rechtsstaates federführend betreibt und seine Position als möglicher Nachfolger Kaczyńskis und als erklärter Gegner Deutschlands und der EU ausbaut, verweigerte dem EU-Wiederaufbaufonds die Zustimmung. Denn für diesen sollen zumindest auf dem Papier rechtsstaatliche Kriterien gelten. Die Regierung konnte so im Parlament lange nicht auf eine Mehrheit rechnen.

Eine Agentur sollte die Verteilung des Geldes überwachen

Die Opposition witterte Morgenluft. Sie wollte die EU-Milliarden für Polen, aber gleichzeitig verhindern, dass diese ähnlich ausgegeben würden wie Milliarden des polnischen Fonds für lokale Investitionen: Dort gingen neun Zehntel des Geldes an vom Regierungslager kontrollierte Gemeinden und nur ein Zehntel an Gemeinden unter Kontrolle der Opposition, analysierten Jarosław Flis und Paweł Swianiewicz für die unabhängige Batory-Stiftung.

Der von der Opposition kontrollierte Senat entwarf deshalb ein Gesetz zur Gründung einer nicht allein von der Regierung kontrollierten Entwicklungsagentur, die mit weitgehenden Befugnissen über Verteilung und Ausgabe der kommenden EU-Milliarden entscheiden und wachen sollte. Die Opposition sollte, so der Plan, geschlossen auftreten und nur beim Ja der Regierung zur Gründung dieser Agentur dem sonstigen Regierungsplan zustimmen.

Doch als die Regierung am Montag ihren Plan zur Verwendung der EU-Milliarden nach Brüssel schickte und am Dienstag im Parlament mit dem Ratifizierungsgesetz antrat, war von der Agentur keine Rede. Die Abstimmung wurde erst angesetzt, nachdem sich die Fraktion der Linken mit ihren 46 Abgeordneten im Sejm mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in der vergangenen Woche einigte, dem Regierungsplan im Austausch für einige Korrekturen zuzustimmen: So sollen statt 15 nun 30 Prozent der EU-Milliarden an Städte und Gemeinden gehen, 75 000 Sozialwohnungen gebaut werden und ein Überwachungskomitee mit undefinierter Zusammenstellung und undefinierten Vollmachten gebildet werden.

Der Politologe Piotr Buras wertete dies als unzureichend, um zu verhindern, dass die EU-Milliarden das "zunehmend undemokratische Regierungssystem" in Polen unwillentlich unterstützen. Warschaus zur Opposition gehörender Bürgermeister Rafał Trzaskowski kritisierte, Städte und Gemeinden sollten vor allem Kredite statt Zuschüsse aus dem EU-Paket bekommen, während sich die Regierung an den Zuschüssen schadlos halten wolle.

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