Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Linken:So schön ist Arbeitsteilung

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Früher hat die Linke von Entfremdung gesprochen, heute setzt auch sie auf verteilte Rollen: Beim Parteitag glättet Lafontaine die Wogen, und Gysi sorgt für die Stimmung.

Daniel Brössler

Manchmal ist er brutal kurz, der Weg vom hehren Anspruch zur schnöden Wirklichkeit. In der Berliner Max-Schmeling-Halle liegen zwischen beidem nur 16 Treppenstufen. Unten tagt der Parteitag der Linken, oben auf der Tribüne steht eine resolute Ordnerin. An ihr kommt keiner vorbei, der nicht Delegierter ist oder Journalist. Auf den Hinweis eines Besuchers, der Parteitag habe doch ausdrücklich freien Zugang auch für Gäste beschlossen, reagiert sie ungerührt. "Der Parteitag könnte auch beschließen, dass morgen schönes Wetter ist", sagt sie. Unten dürfe es nicht zu voll werden, wegen der feuerpolizeilichen Vorschriften.

"Eine starke Linke für ein soziales Land", verspricht die rote Bühnendekoration. Das unausgesprochene Motto des Treffens aber lautet: Eine Partei zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Bei der Europawahl hat die Linke nur 7,5 Prozent der Stimmen eingefahren. In der Partei, die sich mindestens zehn Prozent gewünscht hatte, brach Unruhe aus. Reformer und Radikale gingen öffentlich aufeinander los.

Alter Kampf, neue Runde?

In der Max-Schmeling-Halle, glaubten manche, könnte der Kampf in eine neue Runde gehen. Und Oskar Lafontaine, auf den hier alle Augen und viele Hoffnungen gerichtet sind, weiß das. Er beginnt seine Rede mit einer Abwandlung des SPD-Parteilieds "Wann wir schreiten Seit' an Seit'". Für die Linke müsse nun gelten: "Fighten Seit' an Seit'". Nach der hintersinnigen Aufforderung, gegen die anderen und nicht gegeneinander zu kämpfen, wird der Parteichef zu den inneren Querelen nicht mehr viel sagen.

Auf dem Pult vor Lafontaine liegt ein 25-seitiges Manuskript, und in den folgenden 75 Minuten geschieht etwas Unerhörtes. Der Vorsitzende liest es ab. Lafontaine redet nicht frei, berauscht sich nicht an eigener Rhetorik, lässt sich nicht beflügeln von der eigenen Brillanz. Lafontaine referiert. Pflichtschuldig zählt er die wichtigsten Punkte aus dem Entwurf fürs Wahlprogramm auf. "Wir fordern, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu erhöhen", liest Lafontaine.

Texttreu führt er aus, pro Beitragsjahr sollten "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Mindestbezugsdauer hinaus das Recht haben, einen Monat Arbeitslosengeld beziehen". Wer 40 Jahre eingezahlt habe, solle auch 40 Monate Arbeitslosengeld beziehen, erläutert er. Lafontaine schaut in die Halle und sieht dort nicht viel Regung. "Hartz IV muss weg. Es ist ein Unding", schiebt er hinterher. Das steht nicht im Manuskript, bringt aber Applaus. "Das ist eine Enteignung der Arbeitnehmerschaft, die rückgängig gemacht werden muss", ruft er nun und trommelt dazu mit den Fäusten auf das Pult.

Lafontaine referiert

Die emotionalen Ausreißer bleiben die Ausnahme. Lafontaine doziert über Wechselkurse mit festen Bandbreiten, Sonderziehungsrechte, Mitarbeiterbeteiligungen und auch den Zusammenhang zwischen Geldpolitik und Konjunktur. Immer wieder kommen ihm Zweifel, ob sein Publikum ihn auch versteht. Wichtige Passagen liest er doppelt, auch dem Philosophen Jürgen Habermas gratuliert er zweimal zum 80. Geburtstag. Einmal entschuldigt er sich sogar, die Delegierten mit weiteren Details zu langweilen.

Das gewohnte Temperament blitzt nur auf, wenn es gegen Lafontaines Lieblingsfeind, die Medien, geht oder um den Krieg in Afghanistan. "Würde man für das Geld, das die deutschen Steuerzahler für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan aufbringen, Ärzte und Krankenschwestern nach Afrika schicken", ruft er, "dann würden wir der Menschheit einen ungleich größeren Dienst erweisen und es müsste niemand dabei ermordet werden." Über die Zukunft Afghanistans verliert Lafontaine kein Wort. Manchmal will er seinem Ruf als Demagoge eben doch gerecht werden.

Nach dem sachlichen Auftritt beginnt die Stunde der Deuter. "Das war eine gute Rede. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre", beteuert Jan Korte, einer der jungen Reformer der Linken im Bundestag und tatsächlich nicht als Anhänger des Saarländers bekannt. Andere loben die gemäßigte Präsentation als einen kongenialen Kniff gelungener Parteitagsregie. Tatsächlich hat es in der Parteiführung wohl eine Absprache gegeben, die Lafontaine Zügel anlegt.

"Arbeitsteilung" ist das Wort, das immer wieder geraunt wird. Was damit gemeint ist, wird später klar werden, wenn Gregor Gysi an die Reihe kommt, die Galionsfigur der früheren PDS. "Mir ging es um die politischen Inhalte", beteuert einstweilen der Parteichef bei diversen Rundgängen in der Halle. Mehr noch ging es wohl darum, die Reformer in der Partei nicht weiter zu reizen, das Bild der Einheit nicht zu stören.

Kein echter Höhepunkt

Ein Weilchen aber dürfen die Flügel noch flattern. Sahra Wagenknecht, schwarz gekleidete Chefin der Kommunistischen Plattform, tut es mit Lust. "Die Partei ist mehr als ein gefälliges Gewürzkorn in der neoliberalen Einheitssuppe", ruft sie. In dieser "Brühe" werde man nie mitschwimmen. Dennoch gebe es "in den eigenen Reihen Leute, die sich nicht zu schade sind, dem Populismus-Vorwurf die Stichworte zu geben". Angelika Gramkow, Oberbürgermeisterin in Schwerin, wiederum jammert: "Pragmatismus ist in Teilen der Partei nicht sehr beliebt." Sie fürchtet, mit radikalen Tönen Wähler der Volkspartei (Ost) zu verschrecken.

So vergeht der Parteitag ohne wirklichen Höhepunkt, bis Gysi ans Redepult tritt. In der Tagesordnung angekündigt ist ein "Bericht zur Tätigkeit der Fraktion Die Linke". Doch damit hält sich Gysi nicht lange auf. Das könne man ja alles auch nachlesen, lässt er die Delegierten wissen. Ohne lange Umschweife kommt der Fraktionschef zu seiner Mission für diesen Tag, seinem Part in der Arbeitsteilung mit Lafontaine. Es sei an der Zeit, über Gemeinsamkeiten zu reden, sagt er. Und zählt sie sogleich leidenschaftlich auf: die Gegnerschaft zu "völkerrechtswidrigen Angriffskriegen", die Angleichung von Ost und West, den Willen zur "Überwindung des Kapitalismus" und einiges mehr.

Gysi tut, was Lafontaine nicht wollte und sollte: Er bringt den Parteitag in Stimmung. "Der Reiz unserer Partei besteht in unserer Pluralität. Jeder, der sie gefährdet, gibt sie teilweise auf", mahnt Gysi. Dann schildert er zur Belustigung der Delegierten die Grabenkämpfe einander bekämpfender Gruppierungen, hält ein Plädoyer gegen Rechthaber. Wenn man streite, dann doch bitte "kulturvoll". Gysi setzt all seinen Charme ein, um zumindest für den Augenblick ein Wir-Gefühl herzustellen. Später, bei der Beratung des Wahlprogramms, zeigt sich, dass ihm das gelungen ist.

Einen 100-Milliarden-Zukunftsfonds hat die Parteiführung ins Programm geschrieben, die Forderung nach einer Million neuer Jobs im öffentlichen Dienst, einen Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde und auch die Anhebung von Hartz IV auf 500 Euro. Der Vorstand findet das alles radikal genug, will sich das Programm angesichts von 1600 Änderungsanträgen keinesfalls umschreiben lassen. Kapitel für Kapitel scheitern alle wesentlichen Änderungsanträge. Oben auf dem Podium beobachtet Oskar Lafontaine entspannt das Treiben, ohne auch nur einmal das Wort zu ergreifen. Er lächelt zufrieden. Am Ende ergreift dann der Co-Vorsitzende Lothar Bisky das Schlusswort. "Ich finde, das sind unsere Spitzenkandidaten", sagt er en passant über Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Die Delegierten der Arbeitsteilung ihren Segen. Per Akklamation.

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SZ vom 22.6.2009/vw
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