Süddeutsche Zeitung

Urteil zur Parteienfinanzierung:SPD-Schatzmeister fürchtet den "Worst Worst Case"

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Die Digitalisierung und die Pandemie haben die Parteiarbeit verändert - und verteuert, wie SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan sagt. Dem Urteil zur Parteienfinanzierung sieht er mit Sorge entgegen.

Von Georg Ismar, Berlin

Dietmar Nietan spricht vom Worst-Worst-Case-Szenario. Sollte das Bundesverfassungsgericht an diesem Dienstag die Erhöhung der Parteienfinanzierung um 25 auf 190 Millionen Euro kippen und eine Rückzahlung verlangen, dann sieht er vor allem auf Union und SPD starke Einschnitte zukommen. Bei beiden Parteien soll es dem Vernehmen nach um zweistellige Millionenbeträge gehen.

"Es ist ganz entscheidend, in welcher Form das Bundesverfassungsgericht urteilt", sagt der Schatzmeister der SPD im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Schon seit 2018 weist er wegen des ausstehenden Urteils die Bundespartei und die Landesverbände an, so zu haushalten, dass sie die gemäß der Erhöhung zusätzlich erhaltenen Mittel vorerst nicht ausgeben. Die SPD hat quasi so gewirtschaftet, als hätte es die Erhöhung nicht gegeben. Nietan kürzte das Budget für die Bundestagswahl 2021 um 40 Prozent, zehn Millionen weniger. Zusätzlich wurden Mitgliedsbeiträge erhöht, um die Einnahmen aus eigener Kraft zu finanzieren.

Hybride Parteiveranstaltungen seien teurer als rein analoge

Aus Sicht des SPD-Schatzmeisters hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, dass das zentrale Argument für die Anhebung der Obergrenze - die Kosten der Digitalisierung - stichhaltig und nicht etwa vorgeschoben sei. Wegen des hohen Durchschnittsalters der Mitglieder müsse die SPD zudem Doppelstrukturen bereithalten, zum Beispiel, weil bei Mitgliederentscheiden über einen Koalitionsvertrag sehr viele noch per Brief abstimmen wollen.

Auch die Veranstaltungen der Partei kosteten nun bis zu 70 Prozent mehr, sagt Nietan. Wegen der Pandemie wollten viele Mitglieder das hybride Format der Präsenz- und Onlineteilnahme nutzen - das verteuert die Veranstaltungen. Der IT-Anteil bei den Gesamtkosten der Bundespartei sei von zwölf auf rund 28 Prozent gestiegen. Es gebe mehr Videokonferenzen und Dialogforen, zudem koste der Datenschutz sehr viel. "Ich will nicht wissen, was los wäre, wenn Hacker aus Russland oder China wichtige Abstimmungen der Partei manipulieren", sagt Nietan.

Außerdem hat sich der Markt für Konferenz- und Veranstaltungsdienstleistungen in der Pandemie stark bereinigt, der Wettbewerb hat nachgelassen, die Preise sind gestiegen - dazu kommt noch die Inflation. Kostete ein SPD-Bundesparteitag bisher rund zwei Millionen Euro, so rechnet Nietan künftig mit mindestens 2,25 Millionen Euro.

Die Digitalisierung erfordere auch teure Sicherheitsstrukturen

Der Sozialdemokrat hat ein rheinisches Gemüt, doch angesichts der bevorstehenden Gerichtsentscheidung ist ihm ein Bauchgrummeln anzumerken. Nietan hält auch ein Grundsatzurteil zur Neuordnung der Parteienfinanzierung für möglich. Schon in der Anhörung des Gerichts am 12. Oktober 2021 hatte er betont: "Das Bundesverfassungsgericht hat 1992 festgelegt, dass das bisherige Gesamtvolumen 'als hinreichend angesehen werden' muss, solange 'die bestehenden Verhältnisse keine einschneidende Veränderung erfahren'." Und Nietan fuhr damals fort: "Mit der rasant voranschreitenden Digitalisierung erleben wir weltweit schon seit vielen Jahren tagtäglich allerdings genau diese einschneidenden Veränderungen der bestehenden Verhältnisse." Es reiche ein kurzer Blick auf den Aufstieg von Donald Trump oder den Erfolg der Brexit-Kampagne, "um sich klarzumachen, welchen enormen Druck die neuen digitalen Möglichkeiten gerade auch auf die Absicherung demokratischer Strukturen und Entscheidungsprozesse offener Gesellschaften und hier insbesondere auf demokratische Parteien ausüben".

Gerade Union und SPD müssten wegen ihrer hohen Mitgliederzahl die teure "Dualität" analoger und digitaler Kommunikation und Teilhabe aufrechterhalten, argumentiert Nietan. Er ist ein Anhänger von beidem, will vor Ort und im Netz gleichermaßen präsent und ansprechbar sein. Doch wenn das Bundesverfassungsgericht die Erhöhung komplett und rückwirkend kippt, muss er die bisherigen Personalkosten und IT-Investitionen auf den Prüfstand stellen. Als grundoptimistischer Mensch hoffe er aber, dass seine Argumente in Karlsruhe Gehör gefunden hätten, sagt der Schatzmeister. Und schiebt doch hinterher: "Aber wie heißt es so schön? Vor Gericht und auf hoher See ist man nun einmal in Gottes Hand."

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