Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Weltrettung von Berlin aus

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Beim nächsten Mal wird alles besser: Die Kanzlerin und der Chef der WHO weihen in Berlin ein Pandemie-Frühwarnzentrum ein. Wissenschaftliche Zusammenarbeit soll helfen, Gesundheitsgefahren rund um den Globus früher zu erkennen.

Von Angelika Slavik, Berlin

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das Langenbeck-Virchow-Haus in der Berliner Luisenstraße schon einiges gesehen hat. Ende des 19. Jahrhunderts wurde es für die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie gebaut, später tagte hier die Volkskammer der DDR. Am Mittwochnachmittag aber beherbergt dieses Haus vor allem: Hoffnung.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eröffnet hier das "Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence", wie sie das nennen, eine Art weltweites Pandemie-Frühwarnzentrum. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist gekommen, der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD), der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Es ist eine große Sache. Immerhin die Rettung der Welt, also wenn es gut läuft.

Künftig sollen hier in Berlin Daten aus allen Winkeln der Erde gesammelt und ausgewertet werden. Angaben über Tiergesundheit genauso wie über Krankheiten, Bevölkerungsbewegungen und Folgen des Klimawandels. Muster sollen erkannt, Bedrohungsszenarien berechnet werden. So sollen gefährliche Entwicklungen früher identifiziert und Gegenmaßnahmen ergriffen werden, bevor sich ein Krankheitserreger auf der ganzen Welt ausbreiten kann. Das ist die Hoffnung hinter dem Hub: dass die vergangenen 18 Monate ein singuläres Ereignis bleiben. Dass die Welt auf diese Pandemie irgendwann als eine schmerzliche Ausnahme zurückblicken kann - und nicht auf den Anfang einer Ära voller Angst und Atemschutzmasken. Spahn sagt: "Wir haben es selbst in der Hand."

Weil große Tage große Gesten brauchen, müssen die Kanzlerin und der WHO-Chef zusammen auf der Bühne eine Art Baustellenabsperrband durchschneiden, das irgendjemand zwischen zwei eigens aufgestellten Betonpfeilern gespannt hat. Das Szenario unterstreicht die historische Bedeutung des Moments womöglich nicht ganz so würdevoll wie erhofft, es hat ein bisschen was von einer Kreisverkehr-Eröffnung, aber natürlich kann man auch sagen, es könnte kaum ein besseres Symbol dafür geben, wie sich die Welt in dieser Pandemie geschlagen hat: Das Ergebnis war nur so mittelprächtig, aber es war schon irgendwie alles gut gemeint. Das gilt auch für die Videobotschaft von Melinda French Gates, die sagt, der Hub werde Leben retten und außerdem sei die Kanzlerin ein Vorbild in Sachen Führungsstärke und, tatsächlich, Weisheit. Diese sehr amerikanische Form von Höflichkeit entlockt der Gepriesenen keine Regung. Sie habe bei all den lobenden Worten vor allem daran gedacht, was alles noch nicht getan ist, wird Merkel später sagen.

Erster Direktor des Zentrums ist der in Deutschland geborene nigerianische Epidemiologe Chikwe Ihekweazu, der zurzeit die Gesundheitsbehörde Nigerias leitet. Er wird in absehbarer Zeit noch mal einen Umzug leiten müssen, denn die Geschichte des Pandemie-Hubs beginnt zwar hier im Langenbeck-Virchow-Haus, in absehbarer Zeit will man aber einen eigenen Campus in Kreuzberg beziehen.

"Wer rastet, der rostet", zitiert der WHO-Chef Tedros nun ein old german saying, und konstatiert, das sei ja auch das Motto des neuen Zentrums: Man müsse immer die allerneuesten Technologien bemühen, so werde man auch Leben retten. Er verleiht Merkel dann auch noch gleich eine Global Leadership-Medaille, der Kampf gegen das Ende der Welt und die Würdigung von Merkels Kanzlerschaft sind bei ihm in einem Aufwasch erledigt.

Merkel sagt schließlich, der neue Hub können nur so gut sein, wie die Länder ihn sein lassen - es ginge darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu teilen, Teilhabe zu ermöglichen, gerade auch in Afrika. Das Ziel laute, Gesundheit für alle, deshalb müsse man in Zukunft noch schneller agieren und Forscherinnen und Forscher besser vernetzen. Beim Sammeln von Daten sei Deutschland "nicht immer das allereinfachste Pflaster", sagt Merkel. Da müsse man sich anstrengen, ein ordentliches Vorbild abzugeben. Aber der Hub sei "ein Stück Hoffnung in manchmal schwierigen Zeiten".

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