Süddeutsche Zeitung

Österreich:Samtjacke versus Slim-Fit-Sakko

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Es gibt tatsächlich auch Erfreuliches auf der Welt. Warum man trotzdem an Ex-Kanzler Sebastian Kurz nicht vorbeikommt.

Von Cathrin Kahlweit

Eigentlich wollte ich Ihnen heute mal von etwas anderem erzählen als vom politischen Geschäft in der Hauptstadt; ich war nämlich in Bregenz auf Recherche, und es ergab sich, dass Monika Helfer dort aus ihrem neuen Roman "Die Jungfrau" las. Ich bin ein Fan, nicht nur wegen der schönen Familientrilogie, mit der sie Furore machte, sondern auch wegen ihrer zugewandten Art, ihrer Samt-Sakkos, ihrer sanften Stimme, ihres stillen Humors. Sie liest, wie sie schreibt. Man wünschte sich, die ganze Welt wäre Poesie. Und nicht Krieg, Terror, Hunger und Wüstenei.

Die Redaktion wünschte sich jedoch, dass ich an dieser Stelle über Sebastian Kurz schreiben möge. Nächste Woche starte schließlich vor dem Landesgericht für Strafsachen in Wien der Prozess gegen ihn wegen möglicher Falschaussage. Ein Ex-Kanzler vor Gericht! Ein Prozess gegen den Wunderwuzzi-Superbasti-Young-Performer, der immer alles wollte, konnte und kontrollierte - und dann nur am Rande mitbekommen haben will, dass ein enger Vertrauter unbedingt Chef der Staatsholding Öbag werden wollte? Das könnten wir, fanden meine Kollegen, unmöglich ignorieren.

Darf ich nicht, grummelte ich, stattdessen vom gebürtigen Steirer Arnold Schwarzenegger erzählen? Der ist noch viel prominenter und hat gerade das Buch "Be useful. Sieben einfache Regeln für ein besseres Leben" verfasst. Ein Ratgeber für andere also, US-Style. Kurz hat mit Hilfe einer Journalistin ein Buch verfertigt, das "Reden wir über Politik" heißt. Er redet darin im Wesentlichen über sich selbst. Very Kurz-Style.

Oder, flehte ich, könnte ich über den Neos-Gründer Matthias Strolz schreiben, der auch eine erstaunliche Karriere gemacht hat? Erst Politiker, dann Guru, jetzt Popstar. Gerüchteweise will er demnächst als Stimmungsaufheller bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, vorbeischauen; sie wirkt, seit sie mit der FPÖ koaliert, immer so erschöpft. Strolz wird für sie, hört man, seinen Knaller-Song "What would love do?" singen. Matthi für Hanni. Das wird eine Show. Breaking News aus St. Pölten.

"Außerdem ist der Mann seit 2021 nicht mal mehr Kanzler", rief ich schließlich erschöpft. "Ich habe zuletzt über drei Kurz-Filme in einem Monat berichtet. Über seinen Aufstieg und seine Inszenierungen, seine Affären und Skandale, über seinen Abstieg und seine zweite Karriere, über seine Haare und seine Slim-Fit-Sakkos und seine Freunde und seine Feinde und seine Telefone und seine Mitarbeiter."

Aber es half alles nichts. Und so werde ich kommende Woche aus dem Landesgericht für Strafsachen berichten. Danach aber, da ist dann erst mal Schluss mit Kurz. Zumindest für ein paar Monate. Oder für ein paar Wochen. Na gut: für ein paar Tage. Darauf gebe ich Ihnen mein Journalistinnenehrenwort.

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