Süddeutsche Zeitung

Österreich:Viel zerschlagenes Porzellan

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Rumänien und Bulgarien sind nachhaltig sauer auf Österreich, das sich bei deren Schengen-Beitritt querstellt. Wie bei der Migrationsfrage zeigt sich: Innenpolitisches Kalkül zählt offenbar mehr als eine gesamteuropäische Lösung.

Von Cathrin Kahlweit

Ich könnte Sie jetzt mit diversen Filmen über Sebastian Kurz behelligen. Und damit, dass zwei der drei Werke (eine deutsch-österreichische Kooperation sowie eine Produktion mit Auftraggebern aus den USA und Israel) starke Zweifel an den hehren Motiven ihrer Macher wecken. Aber die wiederkehrende Frage, ob der Ex-Kanzler nun ein - fremdfinanziertes - Comeback plant und warum 500 Jubel-Gäste zur Premiere eines sehr wohlwollenden Kurz-Films erschienen sind, um ja keine Chance zu verpassen, sich für das Große, was da (zurück)kommen soll, in Stellung zu bringen, langweilt mich mittlerweile. Ich bitte um Entschuldigung. Und zitiere lieber den Kollegen Christian Nusser vom Boulevardblatt heute, dessen nicht ganz freiwilliger Abschied vom Chefredakteursposten am Mittwoch bekannt wurde, und der neulich sinngemäß schrieb: Sie haben nichts versäumt.

Es ist gut möglich, dass sich die Herausgeberin von heute, Eva Dichand, mit dem Umbau ihrer Chefredaktion ein Jahr vor der Nationalratswahl bereits auf die FPÖ in der Regierung einstellt. Man kann nicht vorsorglich genug auf Kurs gehen in diesem Land. Nicht nur hehren, politischen Motiven, sondern vor allem innenpolitischem Kalkül lag vermutlich auch das Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien zugrunde, das im Dezember 2022 hohe Wellen schlug. Sie erinnern sich: Der Beitritt beider EU-Länder war lange vorbereitet, dann scherte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kurz vor der entscheidenden Sitzung in Brüssel aus - mit Verweis auf die hohe Zahl der Migranten, die durch Bulgarien und Rumänien nach Österreich drängten.

Gleichzeitig aber kooperiert Wien auf das Engste mit Budapest. Obwohl Viktor Orbán genau das tut, was Sebastian Kurz früher empört "weiterwinken" nannte. Derzeit kommen zwar die meisten Asylbewerber über eine offenbar von Moskau organisierte Route durch Belarus und Polen; eine zweite Route führt aber über Serbien und Ungarn. Trotz Orbáns sagenumwobenen Grenzzauns. Ungarn nimmt selbst kaum Asylbewerber auf und hat unlängst Hunderte Schlepper laufen lassen.

In Rumänien und Bulgarien ist man nachhaltig sauer. Nicht nur wegen der scheinheiligen Argumentation Österreichs, sondern auch weil der österreichische Innenminister unlängst angekündigt hat, man halte an dem Veto fest. Der rumänische Präsident sagte am Rande der UN-Vollversammlung, man denke über eine Klage nach, der rumänische Premier will sich an den Europäischen Gerichtshof wenden. Einen Streit mit dem Energieriesen OMV-Petrom, im Mehrheitsbesitz der österreichischen OMV, legt Bukarest mit Verweis auf das Schengen-Veto nicht bei. Der bulgarische Premier reist demnächst nach Wien, um zu protestieren. Da wurde ohne Not viel Porzellan zerschlagen. Eine neue "Balkanroute", die Sebastian Kurz sich einst geschlossen zu haben rühmte, gibt es trotzdem.

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