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Wahlkampf in Österreich:Kurz inszeniert sich gern als Opfer

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Abstruse Vorwürfe gegen den Kanzlerkandidaten werden vor allem dadurch bekannt, weil seine Partei lautstark auf sie reagiert. Dabei geht Kurz selbst nicht zimperlich mit seinen Gegnern um.

Kommentar von Peter Münch

Noch längst ist der Wahlkampf zur vorgezogenen österreichischen Parlamentswahl am 29. September nicht in seine heiße Phase getreten. Doch für Karl Nehammer, Generalsekretär der ÖVP, ist dies bereits "die schmutzigste Schlacht, die es jemals gegeben hat". Der frühe Superlativ mag übertrieben sein. Schließlich geht es hierzulande beim Streit um die Stimmen stets so derb zur Sache, dass die "Schmutzkübel-Kampagne" zu einer feststehenden austriakischen Redewendung geworden ist.

Doch zu erwarten ist in diesem Jahr tatsächlich, dass im Wettstreit der Dreckschleudern ein paar neue Negativrekorde erzielt werden. Denn von einem dominierenden Sachthema ist in diesem Wahlkampf nichts zu sehen. Die politische Auseinandersetzung dürfte also vor allem ums Persönliche geführt werden.

Als Zielscheibe bietet sich dabei natürlich zuvörderst der ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz an, der sich seit seinem Sturz durch das Parlament als Kanzler in Karenz präsentiert und die Neuwahl eher als lästiges Bestätigungsverfahren anzusehen scheint. In allen Umfragen liegt er mit 36 bis 38 Prozent weit vor der Konkurrenz. Alle gegen einen ist da die logische Konsequenz. Irgendwas könnte ja dem Teflon zum Trotz hängen bleiben.

Diese Fokussierung auf den Führenden ist für die ÖVP so absehbar gewesen, dass sie ihre Strategie darauf abgestimmt hat: Kurz tritt im Wahlkampf bislang vor allem als Opfer in Erscheinung. Begonnen hat das direkt nach dem verlorenen Misstrauensvotum, als er den Slogan ausgab: Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden. Als anschließend aus anonymen Quellen abstruse bis absurde Anwürfe auf Kurz einprasselten - mal ging es um Drogen, mal um Pornos - wurde dies vor allem dadurch bekannt, dass die ÖVP lautstark darauf regierte. Nach gleichem Muster war zuvor ein "Fälschungsskandal" ausgerufen worden um geheimnisvolle E-Mails, die Kurz in die Ibiza-Affäre hineinziehen sollten.

Mit dieser Strategie verfolgt die ÖVP gleich drei Ziele: Die öffentliche Opferpose dient zur Ablenkung von unangenehmen Themen wie der Affäre um geschredderte Festplatten aus Kurz' Kanzleramt. Sie schließt die Reihen und befördert die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Und nicht zuletzt wird suggeriert, es müsse da, wo ein Opfer um Aufmerksamkeit buhlt, auch Täter geben - und die sind natürlich in den Reihen der politischen Gegner zu suchen.

Besonders gern nutzt die ÖVP dafür den Namen jenes israelischen SPÖ-Beraters, der 2017 eine üble Kampagne gegen Kurz initiiert hatte. "Silberstein" ist so zur Chiffre für alles Böse im Wahlkampf geworden, und dass dabei heute auch ein antisemitischer Unterton mitschwingt, wird zumindest in Kauf genommen.

Die Schmutzkübel stehen also an vielen Ecken in diesem Wahlkampf, und sie dürften bis zum Finale weiter gut befüllt und kräftig entleert werden. Ob solche untergriffigen Auseinandersetzungen tatsächlich Einfluss auf das Wahlergebnis haben, ist ungewiss. In jedem Fall aber dürften die Schlachten auf diesem Niveau die Politikverdrossenheit der Bürger weiter wachsen lassen. Die dafür verantwortlichen Politiker aber werden sich wohl kurz schütteln nach dem 29. September und zur Tagesordnung übergehen. Schließlich müssen die alten Gegner dann eine neue Koalition ausverhandeln, und kaum ein Farbenspiel wird ausgeschlossen.

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SZ vom 31.07.2019
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