Süddeutsche Zeitung

Österreich hat gewählt:ÖVP triumphiert - FPÖ stürzt ab

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Von Peter Münch, Wien

Sebastian Kurz ist mit seiner Volkspartei als klarer Sieger aus der vorgezogenen österreichischen Parlamentswahl hervorgegangen. Die ÖVP liegt den Hochrechnungen zufolge mit 37,1 Prozent der Stimmen deutlich über ihrem Ergebnis von 2017, als sie 31,5 Prozent erzielte, und mit großem Abstand vor allen anderen Parteien.

Kurz kann nun bei der Regierungsbildung zwischen verschiedenen Optionen wählen. Möglich wäre zum ersten Mal auf Bundesebene eine Koalition mit den Grünen, die in Österreich unter Türkis-Grün firmiert. Die ÖVP hatte nach dem Bruch der Regierung mit der FPÖ einen ganz auf Kurz zugeschnittenen Wahlkampf geführt unter dem Slogan: "Wir wollen unseren Kanzler zurück."

Schwere Verluste für die FPÖ

Sehr deutlich verloren hat die FPÖ unter ihrem neuen Vorsitzenden Norbert Hofer. Bei einem Minus von 9,9 Prozentpunkten gegenüber der vorherigen Parlamentswahl stürzte sie laut Hochrechnung auf 16,1 Prozent ab.

Rechnerisch möglich ist damit aber immer noch eine Neuauflage der im Mai gescheiterten Koalition mit der Volkspartei. Dies war das erklärte Ziel der Freiheitlichen im Wahlkampf gewesen. In ersten Reaktionen aus der Parteispitze ging man dazu allerdings auf Abstand. Zum Regieren hätte man "ein anderes Wahlergebnis gebraucht", sagte Hofer am Abend. Dieses Ergebnis werde "wohl ein Auftrag sein in Richtung Opposition". Er plädierte für eine "Neuaufstellung der Partei". Dies hatte zuvor auch FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky gefordert und dafür auch neue Gesichter angekündigt.

Die nach den lange Zeit stabilen Umfragewerten letztlich unerwartet hohen Verluste der FPÖ sind offenkundig den fortgesetzten Wirren geschuldet, in die der frühere Vorsitzende und Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Partei gestürzt hat. Er hatte Mitte Mai als Parteichef und Vizekanzler zurücktreten müssen, nachdem er sich in einem heimlich aufgenommenen Video auf Ibiza anfällig für Korruption gezeigt hatte.

Zusätzlich sorgte in der letzten Wahlkampfwoche noch eine Spesenaffäre für Turbulenzen, in der die Staatsanwaltschaft nun gegen Strache wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt. Am Dienstag will sich die FPÖ-Führung mit dem Fall Strache beschäftigen. Spekuliert wird bereits über Konsequenzen bis hin zu einer Suspendierung seiner Mitgliedschaft oder einem Parteiausschluss.

Katerstimmung bei den Sozialdemokraten

Katerstimmung herrschte nach der Wahl auch bei der SPÖ, die den Hochrechnungen zufolge mit 21,7 Prozent der Stimmen und einem Minus von 5,1 Prozentpunkten ihr historisch schlechtestes Ergebnis einfuhr. Es war den Sozialdemokraten unter ihrer neuen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, die erst vor zwei Jahren als Quereinsteigerin in die Politik gekommen war, nicht gelungen, aus den Ibiza-Wirren und dem Scheitern der alten Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ Profit zu schlagen.

Unter den kleineren Parteien gelang den Grünen ein fulminantes Comeback. Sie waren 2017 auf 3,8 Prozent abgestürzt und aus dem Parlament ausgeschieden. Nun erreichten sie laut Hochrechnung 14,0 Prozent und sind damit so stark, dass sie gemeinsam mit der ÖVP eine Regierung bilden könnten.

Im Wahlkampf hatten die Grünen unter ihrem Vorsitzenden Werner Kogler vor allem durch die Klimadebatte Rückenwind bekommen. Nun sprach Kogler, der von seinen Anhängern frenetisch gefeiert wurde, nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse von einem "Sunday for Future".

Grüne dämpfen Erwartungen

Er dämpfte allerdings die Erwartungen an Sondierungsgespräche mit der ÖVP. Eine Koalition "zeichnet sich noch überhaupt nicht ab", sagte er in einer ersten Reaktion und forderte von der Volkspartei ein "Zeichen der Umkehr". Inhaltlich dürften die Grünen von der ÖVP vor allem Zugeständnisse in der Migrations- und Klimapolitik verlangen.

Zulegen konnten zudem die liberalen Neos. Mit ihrer neuen Parteichefin Beate Meinl-Reisinger erzielten sie ein Plus von 2,5 Prozentpunkten und kamen auf 7,8 Prozent. Ihre Sitze im Nationalrat räumen müssen dagegen die Abgeordneten der Liste Jetzt, die 2017 vom ehemaligen Grünen-Politiker Peter Pilz gegründet worden war. Laut Hochrechnung verfehlt die Liste mit 2,0 Prozent den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde.

Alle Karten in der Hand hält nun ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der bereits kurz nach Veröffentlichung der ersten Zahlen in Wien vor seine Anhänger trat und sich "überwältigt und fast sprachlos" zeigte. "Wir sind als Bundesregierung im Mai abgewählt worden", sagte er mit Blick auf das verlorene Misstrauensvotum im Parlament. "Es waren schwere vier Monate - und heute hat uns die Bevölkerung zurückgewählt." Einen Hinweis auf Präferenzen bei der Wahl eines Koalitionspartners gab er noch nicht.

Auf den Wahltag dürften nun längere Sondierungs- und Koalitionsgespräche folgen. Bis zur Bildung einer neuen Regierung bleibt die seit vier Monaten amtierende Übergangsregierung aus Experten unter der früheren Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein als Bundeskanzlerin im Amt. Es gebe "keinen Zeitdruck", hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen bereits wissen lassen.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2019
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