Süddeutsche Zeitung

Obamas Rede zur Lage der Nation:"Die Zyniker liegen falsch"

Lesezeit: 2 min

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Wenn Amerikas Präsident einmal im Jahr zur Lage der Nation spricht, kann er zwischen zwei Botschaften wählen: "Alles super" oder "Alles wird noch super". Denn die State of the Union Address vor den beiden Kammern des Kongresses ist auch eine Art Cheerleader-Vorstellung für 30 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen.

US-Präsident Barack Obama hat sich an diesem Januarabend für "Alles ist super" entschieden und setzt noch drei Ausrufezeichen dahinter. Er blickt kurz auf die vergangenen 15 Jahre zurück, den 11. September, die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Wirtschaftskrise. Und kündigt dann an, dieses Kapitel sei nun abgeschlossen, denn "der Schatten der Krise ist vorbeigezogen, die Nation ist stark". Es sei nun an den Vereinigten Staaten zu entscheiden, wer die die kommenden 15 Jahre sein möchten ( das Weiße Haus hat hier das Manuskript der Rede veröffentlicht).

Zwei Jahre davon werden noch zur Obama-Ära gehören, viele neue Impulse durch Gesetze sind dabei nicht zu erwarten. Der Präsident spricht an diesem Abend erstmals vor dem frisch gewählten republikanisch dominierten Kongress, gegen den er regieren muss.

Ökonomisch in der Spur, politisch ein Totalschaden

Überzeugt, ja fast triumphal bilanziert Obama deshalb seine bisherige Amtszeit, hebt die elf Millionen Jobs hervor, die in den vergangenen fünf Jahren entstanden sind. "Das sind gute Nachrichten, Leute", ruft er nach der Aufzählung grinsend; die Demokraten jubeln, die Republikaner bleiben mit steinerner Miene sitzen.

Das ist natürlich politisches Theater, doch Washingtons Politkomödie ist inzwischen nicht mehr lustig. Ökonomisch sind die USA wieder in der Spur, doch politisch ist das Land nahe an einem Totalschaden. Immerhin hat der US-Präsident seine Lethargie abgeschüttelt, die Vorstöße im Verhältnis zu Kuba und die Duldung von undokumentierten Einwanderern haben gemeinsam mit dem Wirtschaftsaufschwung seine Zustimmungswerte wieder an die 50-Prozent-Marke gebracht. Und dennoch: An diesem Abend spricht ein Barack Obama, der den Kongress längst abgeschrieben hat.

Diese Freiheit nutzt er und entdeckt dabei die Mittelschicht wieder, die er lange vernachlässigt hat: "Lass uns mehr tun, um die Verbindung zwischen harter Arbeit und wachsenden Chancen für jeden Amerikaner wiederherzustellen", fordert er - ganz im Sinne der demokratischen Parteibasis, die darin schon lange das Wahlkampfthema für 2016 sieht.

Seine Vorschläge dafür: Die Kinderbetreuung soll ausgebaut und mit bis zu 3000 Dollar absetzbar werden, Steuerschlupflöcher für Firmen und Superreiche geschlossen werden. Schon Steuererhöhungen sind mit dem republikanischen Kongress nicht zu machen, ebenso unwahrscheinlich sind die geforderten Gesetze gegen Gehaltsdiskriminierung von Frauen, die landesweite Garantie von bezahlten Krankheitstagen oder eine nationale Erhöhung des Mindestlohns.

Gegen die Zeichen der Zeit

So klingen Obamas konkrete Ideen weniger überzeugend als seine Vision von Vereinigten Staaten, die nicht nur modernste Technik entwickeln und den zivilisatorischen Fortschritt prägen, sondern auch die Bürger für diese Jobs weiterbilden. Die 1200 öffentlich finanzierten Community Colleges, eine Mischung aus Berufs- und Hochschule, sollen deshalb unter bestimmten Bedingungen kostenlos werden.

Vielleicht wäre das ja etwas, auf das sich der Präsident mit den Republikanern einigen kann. Am Ende seiner Rede kritisiert Obama jene Kritiker, die Kompromisse für unmöglich und Washington für irreparabel halten. "Ich glaube, die Zyniker liegen falsch. Ich glaube immer noch, dass wir ein Volk sind. Ich glaube immer noch daran, dass wir großartige Dinge schaffen können, auch wenn die Zeichen dagegen stehen."

Und dann klingt es fast schon nach John Lennon, wenn er beide Parteien aufruft: "Stellt euch vor, wir würden diese lahmen alten Muster hinter uns lassen. Stellt euch vor, wir würden etwas anders machen."

Alles wird noch super. Irgendwann.

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