Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Polizei:Reichskriegsflagge auf dem Balkon - Polizei Hamm räumt Fehler ein

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Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Hätten sie bei der Polizei in Hamm früher auf ihren Kollegen Thorsten W. aufmerksam werden können? Ist es normal, dass sich ein langjähriger Verwaltungsmitarbeiter der NRW-Polizei 2018 Reichskriegsflaggen auf den Balkon montiert? Ist es Privatsache, dass er zum Dienst in Kleidung kommt, die in der rechten Szene beliebt ist? Und ist es unverdächtig, seinen Namen in deutscher Kurrentschrift auf den Briefkasten zu schreiben und den Hinweis "Keine Lügenpresse einwerfen" ans Klingelschild zu kleben?

"All diese Punkte stellen im Detail allein keine strafbare Handlung dar", sagte Hamms Polizeipräsident Erich Sievert auf einer Pressekonferenz am Freitagmittag in der westfälischen Stadt, "aber: Mit dem Wissen von heute hätten wir früher Konsequenzen ziehen müssen." In seiner Behörde seien beim Umgang mit der Gesinnung von W. Fehler passiert, so Sievert weiter, darüber sei er "sehr bestürzt". Informationen und Daten seien "nicht an die richtige Stelle weitergeleitet worden". Man habe "die Mosaiksteine" nicht zusammengefügt.

Auf der Wache trug W. einmal ein Shirt mit einem für die rechte Szene typischen Aufdruck, sein Vorgesetzter habe ihn darauf angesprochen. "Er hat das Shirt sofort ausgezogen. Und im Dienst kam so ein Vorfall dann auch nicht wieder vor", sagte Polizeipräsident Sievert.

Hinweise gab es mehr als genug

W. war als einer der acht Unterstützer der mutmaßlichen Terrorzelle "Gruppe S." am 14. Februar nach bundesweiten Razzien festgenommen worden. Die elf deutschen Männer um Werner S., Spitzname "Teutonico", aus Augsburg hatten Anschläge auf Politiker, Muslime und Asylbewerber geplant und dadurch "bürgerkriegsähnliche Zustände" in Deutschland auslösen wollen. Thomas N. aus Minden gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Terrorzelle, Thorsten W. habe finanzielle Unterstützung zugesagt, Waffen habe er aber nicht besorgen wollen.

Kurz nach der Festnahme hatte es aus Sicherheitskreisen geheißen, Thorsten W. sei bisher nicht aufgefallen. Jetzt stellt sich die Frage: Hat nur niemand genau hingesehen? In seiner Freizeit trug W. gerne Germanen- und Wikinger-Kluft, posierte mit Schwert und Runen-Shirt im Netz, postete Abbildungen von SS-Symbolen und Hakenkreuzen in sozialen Netzwerken. Er soll die Zeitschrift Junge Freiheit gelesen haben, die von Experten als "Sprachrohr der Neuen Rechten" bezeichnet wird. Nach Recherchen des Westfalen Anzeiger klebte ein Reichsadler auf der Mittelkonsole von W.s Auto. Nach Spiegel-Informationen attestieren die Behörden W. im Nachhinein wie ein Reichsbürger zu denken.

Der 50-jährige W. war seit 1995 beim Land NRW angestellt. Seine Mutter hatte der Bild-Zeitung gesagt: "Als er in seiner Polizei-Ausbildung bei der Kripo Köln zum ersten Mal an einen Tatort kam, sagte er, das sei nichts für ihn und wechselte in die Verwaltung." Zuletzt bearbeitete W. im Verkehrskommissariat die Abrechnung von Ordnungswidrigkeiten. Sein Büro befand sich auf der kleinen Polizeiwache Bockum-Hövel, die zum Polizeipräsidium Hamm (PP Hamm) gehört.

W. arbeitete auch in der Abteilung, in der Waffenscheine genehmigt werden

2003 beantragte W. das erste Mal erfolgreich einen kleinen Waffenschein. Die vorgeschriebene Zuverlässigkeitsprüfung wurde aber nie durchgeführt. "Die Zuverlässigkeit war aber nicht mehr gegeben, der Waffenschein hätte entzogen werden müssen. Auch das war ein Fehler", sagte Sievert. In seiner Laufbahn arbeitete W. sogar auch in der Abteilung für die Genehmigung von Waffenscheinen, war aber nicht berechtigt, welche auszustellen. Dazu sagte Behördenleiter Sievert, dass derzeit Spezialisten vom Landeskriminalamt und des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW die Akten durchsuchten: "Bisher können wir ausschließen, dass W. Waffenscheine ausgestellt hat. Wir haben aber noch Tausende Seiten Akten vor uns."

Hinzu kommt, dass die Polizei Hamm bei den internen Ermittlungen im Fall W. auf zwei weitere Mitarbeiter mit "einer möglicherweise rechtsgerichteten Gesinnung" gestoßen ist. In einem Fall fand der Staatsschutz der Polizei Dortmund keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe, der andere Fall wurde der Staatsanwaltschaft Dortmund übergeben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Henner Kruse, sagte auf SZ-Anfrage: "Wir haben im Fall des 28-jährigen Polizisten noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wir prüfen derzeit, ob überhaupt strafbares Verhalten vorliegt." Der junge Polizist soll im Internet verschiedene Posts mit möglicherweiser volksverhetzenden Aussagen abgesetzt haben. "Im Moment sind wir noch skeptisch, der Anfangsverdacht hat sich bisher nicht erhärtet", so Kruse.

2016 war im PP Hamm ein Beamter mit Reichsbürger-Hintergrund aus dem Dienst entfernt worden. Warum Thorsten W. 25 Jahre lang niemandem auffiel, fragt sich auch Polizeipräsident Sievert: "Wir müssen sensibler werden bei extremistischen Hinweisen. Eines kann ich Ihnen aber versprechen: Zweifel an der Verfassungstreue werden konsequent verfolgt."

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