Süddeutsche Zeitung

Waffenlobby in den USA:Die Gier der NRA-Bosse

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Millionen Dollar für Reisen, Luxus-Anzüge und Abendessen. Die NRA sei zu korrupt, um sie noch zu retten, sagt die New Yorker Generalstaatsanwältin. Der US-Präsident empfiehlt der mächtigen Waffenlobby einfach einen Umzug.

Von Thorsten Denkler, New York

Dass Letitia James nicht gut auf die NRA zu sprechen ist, hat sie schon 2018 gezeigt. Kurz vor der Abstimmung, in der sie von den Bürgerinnen und Bürgern des US-Bundesstaates New York zur Generalstaatsanwältin gewählt wurde, sagte sie in einem Interview, die National Rifle Association, die größte und mächtigste Waffenlobby in den USA, sei nichts anderes als eine "terroristische Vereinigung".

Es muss sie also mit gewisser Zufriedenheit erfüllt haben, als ihre Ermittler ihr Anfang 2019 darlegten, wie tief die NRA und ihre Führungsspitze in kriminelle Machenschaften verwickelt sein könnten. Es ging um Steuerbetrug, Veruntreuung, Missmanagement. Und was für ein Glück für sie, dass ihre Behörde zuständig ist. Die NRA hat zwar ihren Hauptsitz in Fairfax, Virginia. Als gemeinnützige Organisation ist sie jedoch im Bundesstaat New York registriert.

Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis genug Beweise beisammen waren, um Klage gegen die NRA und ihre Bosse zu erheben. Am Donnerstag hat Letitia James die 164-seitige Klageschrift sowie die großen darin enthaltenen Ziele vorgestellt. Sie verlangt nicht weniger als die Auflösung der Organisation mit ihren nach eigenen Angaben mehr als fünf Millionen Mitgliedern. Mindestens aber die Enthebung von NRA-Chef Wayne LaPierre und Generalsekretär John Frazer aus ihren Ämtern. Keiner der Angeklagten soll im Staat New York je wieder eine Führungsposition in einer gemeinnützigen Organisation übernehmen dürfen.

Der Schlimmste von allen soll auch der Mächtigste sein

Die beiden weiteren Angeklagten sind Ex-Finanzchef Wilson Phillips und Ex-Stabschef Joshua Powell. Sie arbeiten seit einiger Zeit nicht mehr für die NRA. Phillips ist im Ruhestand. Powell musste im Januar gehen, unter anderem weil es Beschwerden wegen sexueller Belästigung gegeben hatte.

Nach Ansicht von James haben die Angeklagten die NRA in einen Selbstbedienungsladen verwandelt, von dem sie sich über Jahre bezahlen ließen, was immer ihre Luxus-verwöhnten Herzen begehrten. Der Schlimmste von allen war der Anklage nach auch der Mächtigste: Wayne LaPierre, Boss der NRA. Seit fast drei Jahrzehnten ihr Anführer und Prediger. Wann immer es in den USA zu einer Massenschießerei kommt, sagt LaPierre: "Das Einzige, was einen schlechten Kerl mit einer Waffe stoppen kann, ist einer guter Kerl mit einer Waffe."

Jetzt steht er unter Anklage, den eigenen Laden beraubt zu haben - ganz ohne Waffe. 16 Anklagepunkte umfasst die Klageschrift. LaPierre soll unter anderem auf NRA-Kosten Luxusreisen in die Karibik unternommen haben, gerne mit eigens angemietetem Privatjet. 500 000 Dollar sollen allein für die Jet-Miete draufgegangen sein. Er nahm auch immer wieder das Angebot wahr, auf der 32-Meter-Yacht eines Geschäftspartners der NRA auszuspannen. Oder mit seiner Frau teure Safaris in Afrika zu unternehmen. Hauptsache nichts dazu bezahlt.

Nicht, dass sich LaPierre das nicht alles auch selbst leisten könnte. Sein Jahreseinkommen dürfte sich seinen Steuerunterlagen von 2019 nach auf mehr als 2,15 Millionen Dollar summieren.

LaPierre und seine Komplizen haben aus Sicht der Ankläger ein ausgeklügeltes System aufgebaut, um die Veruntreuung von Millionen von Dollar zu verbergen. Rechnungen für teure Abendessen, exklusive Reisen und Luxus-Anzüge landeten nicht etwa auf dem Tisch der NRA-Finanzbuchhaltung. Sondern in der PR-Agentur Ackerman McQueen, die aufwändige aber völlig überteuerte Videoformate wie NRA-TV betreute. Gut 40 Millionen Dollar bekam Ackerman McQueen für seine Dienste jährlich von der NRA überwiesen.

Als Gegenleistung diente das PR-Unternehmen den NRA-Bossen als eine Art Vertuschungsagentur. Sie ließen sich ihre Ausgaben von Ackerman McQueen begleichen. Die Agentur führte Buch über die Zahlungen und stellte irgendwann der NRA einen Sammelbetrag für nicht näher definierte Leistungen in Rechnung, wie Letitia James erklärte. Eindeutig ein Verstoß gegen die Steuer-Gesetze des Bundesstaates New York, sagte die Generalstaatsanwältin. Inzwischen haben sich die NRA und Ackerman McQueen gegenseitig mit Klagen überzogen.

Millionen sind auf die Konton der Angeklagten geflossen

Von 2015 bis 2018 habe die NRA fast 64 Millionen Dollar an Vermögen verloren, sagt James. Ein erklecklicher Teil davon sei auf die Konten der Angeklagten geflossen. Mit erheblichen Folgen für den Betrieb der NRA: Es seien Millionen von Dollar von den gemeinnützigen Aufgaben der NRA abgezweigt worden, um die Verluste aufzufangen. Etwa von Programmen für Waffensicherheit, Ausbildung, Mitgliederservices und öffentliche Angelegenheiten, heißt es in der Anklageschrift. Wer Geld an die NRA spendete, investierte auch in das Luxus-Leben der Angeklagten.

Der Verein hat mit Einnahmen in Höhe von über 400 Millionen Dollar jährlich Konzernausmaße. Damit es leichter wurde mit dem Geldausgeben, ließ sich LaPierre von Ackerman McQueen eine American-Express-Kreditkarte aushändigen. Mit der bezahlte er etwa Abstecher auf die Bahamas über 94 000 Dollar. Oder nach Nevada für 112 000 Dollar. Beides im Jahr 2013. So ist es einer Kostenaufstellung für LaPierre des Ackerman-McQueen-Finanzchefs zu entnehmen. Allein diese eine Rechnung an die NRA für sogenannte "Aus der Tasche"-Ausgaben belief sich auf 267 000 Dollar. Am 22. September 2015 gab LaPierre geleakten Unterlagen zufolge 39 000 Dollar im Herrenmodegeschäft Ermenegildo Zegna am Rodeo Drive in Beverley Hills, Kalifornien, aus. Auch das Geld wurde ihm über Ackerman McQueen zurückerstattet.

Im Frühjahr 2019 kam es deswegen zu einem Machtkampf innerhalb der NRA. Präsident war damals Oliver North, ein hochdekorierter und konservativer Ex-Marine. Am 18. April 2019 beschwerte er sich in einem Brief an LaPierre über einige exorbitante Ausgaben. " Das Geld fließt in einer irrwitzigen Geschwindigkeit von der NRA ab", schrieb North damals. In 13 Monaten seien 24 Millionen Dollar an eine Kanzlei überwiesen worden, zum Teil 100 000 Dollar pro Tag. Ausgaben dieser Höhe stellten eine Bedrohung der finanziellen Stabilität der NRA dar.

North verlor den Machtkampf mit LaPierre jedoch und trat kurz danach zurück. Auch er wurde Opfer seiner eigenen Gier. LaPierre konnte gegen ihn einen Vertrag mit Ackerman McQueen ins Feld führen, der North "mehrere Millionen Dollar im Jahr" einbrachte. Als Gegenleistung war North als Gastgeber in der NRA-TV-Sendung Oliver North's American Heros aufgetreten.

Noch hat LaPierre seine NRA fest im Griff. Fast alle der 70 Vorstandsmitglieder haben in irgendeiner Form vom System LaPierre profitiert. Von der Seite ist nicht viel Druck zu erwarten. Ein Teil der Vorwürfe ist zudem seit Frühjahr 2019 bekannt. Und den daraus resultierenden Machtkampf hat LaPierre gewonnen.

Das Verfahren selbst wird wohl Jahre dauern. Wenn es überhaupt dazu kommt. Das US-Rechtssystem lässt den Angeklagten viel Spielraum, sich noch aus der Affäre zu ziehen.

"Affront gegen Demokratie und Freiheit"

LaPierre sagte wenige Stunden nach dem Auftritt von Letitia James, die Anklage sei ein "Affront gegen Demokratie und Freiheit". Ein "verfassungswidriger, vorsätzlicher Angriff", der darauf abziele, die NRA zu zerstören, die doch die schärfste Verteidigerin der amerikanischen Freiheit sei. "Wir sind bereit für den Kampf."

Zu einem akuten Problem aber könnte die Klage für Präsident Donald Trump werden. Der braucht eine starke, schlagkräftige NRA und ihre Millionen Mitglieder, um wiedergewählt zu werden. Mitte Juli hat die NRA ihren Mitgliedern vorgeschlagen, erneut Trump zum Präsidenten zu wählen. Die Frage wird sein, was die Unterstützung wert ist, wenn sie von einer durch und durch korrupten Organisation kommt.

Trump aber hat auch schon eine Lösung für die NRA. Nein, nicht volle Kooperation mit den Behörden. Trump empfiehlt der NRA, nach Texas zu ziehen, sagte er am Freitag nach dem Auftritt von Letitia James. Die NRA solle dort "ein sehr gutes und schönes Leben führen". Das habe er der NRA immer wieder gesagt.

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