Süddeutsche Zeitung

Spannungen zwischen Nato und Russland:Wie die Arktis zum Schauplatz eines neuen Kalten Kriegs wird

Lesezeit: 5 min

Von Silke Bigalke, Sortland

Geir Martin Leinebø ist ein wortkarger Mann, der viel Kaffee trinkt und von der Brücke seines Schiffs aus auf das kalte Nordmeer schaut. Er ist Offizier bei der norwegischen Küstenwache. Mit der KV Sortland, die aussieht wie ein kleines Kriegsschiff, räumt er hinter Umweltsündern auf oder rettet Menschen aus Seenot. Vor allem aber schickt er seine Inspekteure an Bord der Fischkutter, um deren Fang zu kontrollieren. Leinebø war selbst mal Fischer, er spricht lieber über Makrelen als über die Russen. Doch die Russen sind gerade Thema in Norwegen.

Die Küstenwache gehört zwar formal zur Marine, ist aber mehr Polizei als Militär. Norwegen und Russland teilen sich die Fangquoten in der Arktis, russische Fischer vor der norwegischen Küste sind Alltag, genauso wie norwegische Fischer vor Russland. Die Küstenwachen der beiden Länder arbeiten eng zusammen, während die militärische Kooperation wegen der Ukraine-Krise auf Eis liegt. Leinebøs Aufgabe ist es, das zu ignorieren.

Was seinen Job angehe, laufe es gut mit den Russen, sagt er. Gerade jetzt sei ein Inspekteur aus seinem Team zum jährlichen Austausch drüben. Und bisher hätten die russischen Fischer mehr Respekt vor der KV Sortland als die norwegischen.

Im Arktischen Rat sitzen Vertreter Russlands und der Nato noch an einem Tisch

Die Arktis ist ein besonderer Ort, wenn es um die Beziehungen zwischen den angrenzenden Nato-Staaten und Russland geht. Einerseits helfen sich die Länder im rauen Norden gegenseitig, etwa wenn es um Such- und Rettungsaktionen geht. Der Arktische Rat gilt als eines der letzten Gremien, in dem Vertreter von Russland und Nato-Ländern noch an einem Tisch sitzen.

Andererseits hat Russland viele Atomwaffen in der Arktis stationiert, Drohpotenzial gegen den Westen. Wenn das Eis am Pol weiter schmilzt und den Weg für Handels- oder Kriegsschiffe freigibt, rücken die Gegenspieler einander näher. Bisher konnten die Anrainerstaaten die zivile Kooperation in der Arktis von deren militärischer Bedeutung gut trennen. Die Frage ist aber, wie lange sie das durchhalten, wenn der Argwohn zwischen ihnen und die Stärke der russischen Truppen im Norden weiter zunehmen.

Vertrauen zwischen den Militärs ist bereits verloren gegangen

Bisher liegt der Konflikt in weiter Ferne. Doch was in der Ukraine geschehe, beeinflusse die Situation in Europa, sagt Sverre Engeness, der Kommandeur der Küstenwache. In deren Hauptquartier in Sortland erklärt er, wie der Klimawandel den Norden verändert, zeigt bunte Karten mit Wirtschaftszonen, Fischgründen und Flottenbewegungen.

Obwohl es seine Aufgabe sei, die Verbindung zu Russland aufrecht zu erhalten, hat der Kommandeur Sorge, dass sich die Krise in der Ukraine auch auf seinen Job auswirken könnte. "Wir würden es zuerst daran merken, dass Fischer auf russischen Schiffen Schwierigkeiten machen", sagt er. Sie könnten seinen Leuten den Zutritt verweigern, einfach abhauen. Bisher sei das nicht passiert. Doch andernorts in der Marine spüre man eine Veränderung, würden Treffen zwischen norwegischen und russischen Generälen abgesagt, sei Vertrauen verloren gegangen, sagt Engeness. "Das stärkste Kind in der Straße bestimmt die Regeln - ich denke nicht, dass wir das wollen", sagt er. "Zumindest nicht als kleiner Staat wie Norwegen."

Die Arktis ist Wladimir Putin besonders wichtig. Sie sei "eine Konzentration praktisch aller Aspekte nationaler Sicherheit - militärisch, politisch, ökonomisch, technologisch, ökologisch und der Ressourcen", sagte er im vergangenen Jahr vor seinem Sicherheitsrat. Es geht um mehr als um Fische, die mit dem Klimawandel gen Norden ziehen. Es geht um Öl und Gas, Handelsrouten, Waffenreichweiten und internationalen Einfluss.

"Die Krise in der Ukraine hat leicht ihren Weg in die Arktis gefunden", sagt Katarzyna Zysk, Dozentin am Norwegischen Institut für Verteidigung in Oslo. Norwegen hat sich, obwohl es nicht Mitglied der EU ist, deren Sanktionen gegen Russland angeschlossen und die militärische Zusammenarbeit gestoppt. Es liefert auch keine Technologie für die Ölproduktion mehr an den Nachbarn. Gerade weil sich die Arktis für wirtschaftliche und politische Interessen öffne, sei sie anfällig für Spillover-Effekte durch Krisen in anderen Teilen der Erde, sagt Zysk.

Russische Aufrüstung in der Arktis

Russland rüstet in der Region seit Jahren auf, vor allem seit 2012. Der Hauptstützpunkt der Nordflotte, der größten russischen Flotte, liegt keine vier Stunden von der norwegischen Grenze entfernt nahe Murmansk, auf der Kola-Halbinsel. Dort hat Russland auch den wichtigsten Teil seiner atomaren Abschreckungswaffen untergebracht. Zysk zählt sechs U-Boote der Delta IV Klasse auf, ausgestattet mit nuklearen Sprengköpfen, außerdem derzeit drei Atom-U-Boote der Borei-Klasse. Drei oder vier weitere seien für die Nordflotte geplant, so die norwegische Forscherin.

Ende 2014 hat Russland eine eigene Kommandozentrale im Norden eingerichtet, die "Arctic Joint Strategic Command". Zwei Brigaden mit etwa 6000 Soldaten möchte Russland in der Arktis stationieren, die ersten sind bereits am alten Sowjet-Stützpunkt Alakurtti nahe der finnischen Grenze angekommen. Außerdem plant Russland eine ganze Kette aus neuen und reaktivierten Marinestützpunkten und Flugplätzen. "Die Macht-Asymmetrie zwischen Norwegen und Russland ist größer geworden", sagt die norwegische Forscherin Zysk. Russland habe viel investiert, um sich als führende Arktis-Macht zu zeigen.

Als Norwegen im Februar mit 5000 Soldaten ein Manöver im Norden übte, antwortete Moskau umgehend - und schickte seinerseits etwa 45 000 Russen in eine Übung. "Ich vermute, die Norweger fühlen sich ziemlich unbehaglich", sagt Siemon Wezeman, Experte beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri. Er hat die russische Aufrüstung in der Arktis beobachtet, und wie die Beziehungen immer weniger freundschaftlich wurden. "Die anderen Anrainerstaaten haben das Gefühl, Russland könnte seine Interessen auch mit Waffengewalt unterstreichen."

"Die Normalität im Umgang mit Russland ist vorbei"

In Norwegen hat man sich lange darum bemüht, den Ton möglichst versöhnlich zu halten, die guten Beziehungen zum Nachbarn zu betonen. Doch im Februar änderte Verteidigungsministerin Ine Eriksen Søreide den Kurs. "Wir sehen uns heute einem anderen Russland gegenüber", sagte sie vor der Militære Samfund, der Militärischen Vereinigung in Oslo. Kurz darauf legte sie in einem CNN-Interview nach: Es werde keine Rückkehr zu irgendeiner Normalität mit Russland geben. "Die Situation hat sich verändert. Und sie hat sich grundlegend verändert." In Norwegen wurde sie für ihre deutlichen Worte kritisiert.

Grenzen hat Russland in Norwegen bisher keine übertreten, doch die kleinen Provokationen nehmen zu. Um Spitzbergen etwa gibt es seit Jahren Streit. Ende April landete der stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Rogosin auf der Inselgruppe in der Arktis zwischen. Rogosin steht auf der Liste der Personen, die wegen der EU-Sanktionen Einreiseverbot haben. Spitzbergen steht unter norwegischer Souveränität. Trotzdem schickt Russland seine Küstenwache immer wieder den weiten Weg dorthin. Norwegen könne es den Russen nicht verbieten, sagt Kommandeur Engeness in Sortland. Doch erkenne er die russischen Kontrollen nicht an. "Wir respektieren nicht die Art und Weise, wie sie versuchen, in eine Position zu gelangen, in der sie Ressourcen in dieser Gegend genauso managen können wie Norwegen."

Die Küstenwache nimmt kommenden Mittwoch an einer besonderen Übung teil. Es ist eine Übung des "Joint Rescue Coordination Centre" in Bodø, das Rettungseinsätze in der Arktis koordiniert und im Notfall alle Rettungskräfte bündelt, zivile, kommerzielle, freiwillige und militärische. Einmal im Jahr probt es gemeinsam mit seinem Pendant in Murmansk den Ernstfall, auch dieses Jahr. Während vom Luftwaffenstützpunkt in Bodø dann immer noch Kampfjets der Nato für die große Übung "Arctic Challenge" starten, üben Norweger und Russen gemeinsam, wie man Menschen rettet.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2015
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