Süddeutsche Zeitung

Niedersachsen:Wer beerbt den "roten Sheriff"?

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Boris Pistorius hinterlässt in seinem Heimatbundesland Niedersachsen eine beachtliche Lücke. Ministerpräsident Stephan Weil will die Nachfolge zügig klären - mehrere Namen sind im Umlauf.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Die Woche begann vergleichsweise unspektakulär für Boris Pistorius (SPD). Am Montag begrüßte Niedersachsens Innenminister am Flughafen in Hannover die neue Leiterin der Polizeihubschrauberstaffel, überreichte ihr als Symbol für die Führungsaufgabe einen Steuerknüppel. Die schnellste Polizeieinheit Niedersachsens kann binnen 30 Minuten an jedem beliebigen Ort des Landes sein.

Dass er selbst nun gleich in Berlin gelandet ist, hat dann doch einige überrascht - in seinem Ministerium, in seiner Partei und, glaubt man den Worten des künftigen Bundesverteidigungsministers, auch ihn selbst. In Niedersachsen hinterlässt Boris Pistorius eine beachtliche Lücke. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprach von einem "Verlust für die Landespolitik". Pistorius sagte, er verlasse nicht nur seinen Ministerpräsidenten, sondern einen Freund.

2013 holte der Wahlgewinner Weil seinen Parteikollegen aus dem Osnabrücker Rathaus ins Kabinett. Die ersten Wochen im Amt nutzte Pistorius für gründliche Umbauten, vier von sechs Polizeipräsidenten mussten gehen. Von außen sah das aus, als könne er gar nicht genug Distanz aufbauen zu seinem Vorgänger Uwe Schünemann (CDU), einem selbsternannten "harten Hund", der kein Problem mit nächtlichen Abschiebungen und heimlichen Hausdurchsuchungen hatte. Die taz nannte den Christdemokraten zum Abschied einen "durchgeknallten Kleinbürger auf einem Ministersessel".

Klare Kante gegen Feinde der Demokratie

Auch Boris Pistorius machte schnell bundesweit von sich reden. Seine Themen waren Deutschlandthemen: der Kampf gegen den islamistischen Terror, Ausbau der IT-Sicherheit und eine Asylpolitik, die auf konsequenter Umsetzung der Gesetzeslage fußte, aber auch Einzelfälle in den Blick nahm. Hochwasser, Waldbrände und ein wegen Terrorverdachts abgesagtes Fußball-Länderspiel schärften Pistorius' Profil als umsichtiger Macher. Sein Einsatz für den Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung verschaffte ihm den Ruf, klare Kante zu zeigen gegen Feinde der Demokratie. Sein unfreiwilliger Spitzname: "roter Sheriff".

Selbst die Skandale, die in seine Amtszeit fielen, brachten Pistorius nicht nachhaltig in Bedrängnis. Dienstwaffen und Munition verschwanden aus Polizeidirektionen, darunter ein Maschinengewehr. Geheime Akten gingen verloren. Journalistinnen wurden vom Verfassungsschutz überwacht, ein V-Mann flog auf, weil die Behörde unzureichend geschwärzte Dokumente herausgab. Der Innenminister reagierte meist so, dass die Lage nach außen beherrschbar erschien, griff, wenn nötig, auch personell durch.

Ambitionen für ein politisches Amt auf höherer Ebene sind Boris Pistorius immer mal wieder nachgesagt worden, zumeist mit Blick auf das Bundesinnenministerium. Aber wie das so ist mit Personalgerüchten: Am Ende kommt oft alles anders. Auch in Hannover wird nun hinter verschlossenen Türen beraten, wer künftig für Sicherheit im Land sorgen soll. Vor den Türen wird spekuliert. Gleich mehrere Namen sind im Umlauf, darunter der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Grant Hendrik Tonne, 46 Jahre alt, Jurist. Er hat bereits Erfahrung als Ressortchef, übernahm 2017 das anspruchsvolle Kultusministerium. Nach der Wahl im Oktober wechselte er an die Spitze der SPD-Landtagsfraktion. Dort wird er wohl auch weiterhin gebraucht. Zu den Gerüchten um seine Person äußerte sich Tonne zurückhaltend: "Ich fühle mich als Fraktionsvorsitzender wohl und möchte gerne an der Spitze der Fraktion bleiben."

Der Fraktionschef, der Bürgermeister - oder doch die Staatssekretärin?

Als aussichtsreich gilt auch Thorsten Kornblum (SPD), seit gut einem Jahr Oberbürgermeister von Braunschweig. Der im Emsland geborene Jurist kennt sich gut aus im Innenministerium, war persönlicher Referent des scheidenden Ministers und dessen Büroleiter.

Ebenfalls unter den Genannten ist laut NDR die SPD-Bundespolitikerin Siemtje Möller. Die 39-Jährige ist parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium und war bis Mitte vergangenen Jahres Sprecherin des konservativen Seeheimer Kreises. Möller lebt in Friesland und war auch schon als mögliche Nachfolgerin von Christine Lambrecht (SPD) im Gespräch. In der Vergangenheit setzte sie sich unter anderem für bessere Kinderbetreuung in der Bundeswehr ein - in einem Bundesland mit zahlreichen Militärstandorten sicher kein Nachteil.

Bis eine Entscheidung fällt, wird Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) das Innenministerium übergangsweise führen. Die Aufgaben werden ja nicht kleiner. So bleibt die Situation der Geflüchteten in Niedersachsen angespannt. In der ersten Hälfte des Jahres sollen 5000 weitere Plätze zur Unterbringung geschaffen werden, so versprach es Boris Pistorius Ende Dezember. Darum kümmern muss sich nun jemand anderes. Der Ministerpräsident hat eine zügige Klärung der Nachfolge angekündigt. Bis kommende Woche soll die Lücke geschlossen werden, heißt es.

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