Süddeutsche Zeitung

Namibische Volksgruppen verklagen Deutschland:Entschädigung für Herero und Nama - eine moralische Frage

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Von Antonie Rietzschel

Deutschland gilt international als Vorbild im Umgang mit der eigenen Geschichte. Anlässlich einer Ausstellung in Berlin lobte die britische Zeitung Guardian vor Kurzem die Deutschen für ihre Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Kolonialmächten führe Deutschland aktiv Gespräche mit afrikanischen Ländern über mögliche Wiedergutmachungen. Die Zeitung stellt fest: Großbritannien kann viel von Deutschland lernen.

Vertreter der namibischen Völkergruppen Herero und Nama sehen das völlig anders. Sie haben in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht (die komplette Klageschrift finden Sie hier). Denn es gibt zwar Verhandlungen zwischen Namibia und der Bundesregierung zur Aufarbeitung des Völkermords an den Herero und Nama vor 110 Jahren. Deren Angehörige wollen aber nicht nur an den Gesprächen beteiligt werden, sondern fordern auch eine Entschädigung. Damit könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden, den Deutschland verhindern will. Und der auch Auswirkungen auf andere ehemalige Kolonialmächte hätte.

Anfang des 20. Jahrhunderts befanden sich Deutschlands Kolonien in Südwestafrika. Im Vergleich zu Portugal und Spanien hatte das damalige Kaiserreich wenig territorialen Einfluss, ging aber mit der gleichen Brutalität gegen die Einheimischen vor: Nach dem Aufstand der Maji-Maji im heutigen Tansania kam es zu einem Massaker. Und auch in Togo, in Kamerun und in der Südsee gab es blutige Auseinandersetzungen und Strafaktionen. Für die größte Aufmerksamkeit sorgt jedoch bis heute die Tötung von 60 000 Herero und 10 000 Nama auf Befehl von Lothar von Trotha. Dokumentiert ist der sogenannte Vernichtungsbefehl des damaligen Befehlshabers. Historiker sind sich einig, dass es sich dabei um einen Völkermord handelte.

Der Straftatbestand des Völkermords besteht erst seit 1948

Deutschland hat diesen Begriff jedoch lange vermieden. Der Straftatbestand des Völkermords besteht erst seit 1948, weiter zurückliegende Ereignisse können nicht rückwirkend danach beurteilt werden, so die Argumentation. Als der Bundestag im vergangenen Jahr die Verbrechen an den Armeniern im 20. Jahrhundert zum Völkermord erklärte, war das ein deutlicher Widerspruch zur bisherigen Linie. Unter Druck geraten, musste die Bundesregierung umschwenken. Nun spricht sie bei der Tötung der Herero und Nama ebenfalls vom Genozid. Persönliche Entschädigungen schloss sie jedoch aus.

Hier liegt das Dilemma. Deutschland hat in der Vergangenheit zwar Wiedergutmachung auch an Individuen gezahlt. Voraussetzung dafür war, dass sie noch lebten. Das betraf vor allem Opfer des Holocausts und Zwangsarbeiter. Täter wie Opfer sind im Fall der Herero und der Nama aber schon lange tot. Bei ihren Nachfahren handelt es sich um die Ur-Ur-Enkel. Inwiefern Deutschland sich dazu durchringt, Wiedergutmachung zu leisten, ist in diesem Fall also weniger eine juristische als eine moralische Frage.

Erinnert sei hier an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hatten die Alliierten gar nicht erst versucht, Deutschland für die Schäden des Krieges haftbar zu machen. Doch die Bundesregierung sah sich wegen des Holocausts gegenüber Israel in der Schuld. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte 1952 ein Sonderabkommen durch. Deutschland zahlte unter anderem drei Milliarden D-Mark. Eine Geste, die Deutschland wieder Respekt in der internationalen Gemeinschaft verschaffen sollte.

Konvention zur Unterstützung indigener Völker

Auch jetzt geht es um den Ruf der Bundesrepublik. In ihrer Klageschrift beziehen sich die Vertreter der Herero und Nama auf eine Konvention der Vereinten Nationen von 2007. Die Unterzeichner, dazu gehören Namibia und Deutschland, haben sich dazu verpflichtet, indigene Völker speziell zu unterstützen. Konkrete Forderungen, wie etwa Geldzahlungen sind darin aber nicht festgeschrieben.

Die namibischen Volksgruppen fordern nun keine bestimmte Summe. Sie argumentieren, die Herero und Nama würden bis heute unter den Folgen der Kolonialzeit leiden, beispielsweise durch Vertreibungen von ihren Ländereien. Sie bitten darum, den Verlust schätzen zu lassen. In der Klageschrift wird die Einrichtung eines Trusts gefordert, um den Verlust finanziell auszugleichen. Zentraler Wunsch ist zudem die Einbeziehung in Gespräche über spezielle Ausbildungsmaßnahmen sowie ein Jugendaustausch für Mitglieder der Herero und Nama.

Der Afrika-Historiker und Genozidforscher Jürgen Zimmerer hofft, dass Deutschland auch ohne Prozess auf die Forderungen der Herero und Nama eingeht. "Ein Land, das immer wieder darauf pocht, dass internationale Verträge eingehalten werden, kann es sich nicht leisten, vor Gericht zu verlieren", so Zimmerer.

"Die ganze Welt schaut auf diesen Vorgang"

Das aktuelle Verfahren könnte allerdings weitreichende Konsequenzen haben. Sollte Deutschland den Forderungen freiwillig zustimmen oder gerichtlich dazu gezwungen werden, zieht das möglicherweise weitere Klagen nach sich. Angehörige von Opfergruppen aus der Kolonialzeit könnten Forderungen geltend machen. Betroffen wäre aber nicht nur Deutschland. "Die ganze Welt schaut auf diesen Vorgang. Er betrifft alle einstigen Kolonialmächte", so Zimmerer. Darunter auch Frankreich - und natürlich Großbritannien.

Denkbar wäre Zimmerer zufolge auch, dass Angehörige von Opfern des Nationalsozialismus gegen Deutschland klagten. Wie hoch die Schadenssume wäre, ließe sich nicht bemessen. Im Gedächtnis geblieben ist Zimmerer das Zitat eines Mitarbeiters des Auswärtigen Amtes: Wenn man nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg anfinge, für Getötete Kompensation zu leisten, dann wäre Deutschland pleite.

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