Süddeutsche Zeitung

München:NSU-Prozess: Ein Hetzlied im Gerichtssaal

Lesezeit: 3 min

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Dass Ralf Wohlleben Hass gegen Ausländer hegt, weisen er und seine Verteidiger im NSU-Prozess immer und immer wieder mit Verve zurück. Er, der frühere NPD-Funktionär, sei zwar bekennender Nationalist, doch ein durch und durch friedliebender, lässt Wohlleben seine Verteidiger vor dem Oberlandesgericht München ein ums andere Mal erklären.

Wohlleben ist angeklagt, weil er den mutmaßlichen NSU-Terroristen zusammen mit dem Mitangeklagten Carsten S. die Waffe besorgt haben soll, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Menschen ermordet haben. Wohlleben und Carsten S. müssen sich deshalb wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor Gericht verantworten. Carsten S. ist geständig und kooperiert mit Ermittlern und Richtern. Wohlleben hingegen bestreitet die Tatvorwürfe. Er habe ja nicht mal ein Motiv, behaupten seine Verteidiger. Denn Wohlleben soll angeblich gar nichts gegen Migranten haben - wieso sollte er dann dabei helfen, neun Männer türkischer und griechischer Herkunft zu erschießen, fragen sie.

Die Anwälte der Familien der Mordopfer und der Überlebenden der Sprengstoffanschläge des NSU versuchen im Prozess, Wohlleben der Lüge zu überführen. An diesem Dienstag sollte ein Lied dabei helfen. Das Gericht hat auf Antrag des Opferanwalts Eberhard Reinecke ein Lied von der Band Böhse Onkelz im Gerichtssaal vorspielen lassen. Es gehört zu einer umfangreichen Sammlung an rechtsextremer Musik, die die Ermittler auf Wohllebens Computer gefunden haben.

Schon der Titel des Liedes lässt keine Fragen offen. "Türken raus" heißt es - purer Rassismus, grölend dargeboten. Die Tonqualität ist so schlecht, dass nur vereinzelt Worte zu verstehen sind: "Türken raus, Türken raus, alle Türken müssen raus." Es folgen derbe Schimpfworte. Viel mehr Inhalt hat der Text nicht. Er steht im deutlichen Widerspruch zu Wohllebens Erklärung vor Gericht Ende 2015. Damals zitierte er aus einer Selbstdarstellung der rechten Organisation "Nationaler Widerstand Jena", zu der neben Wohlleben auch Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe gehörten. "Wir möchten ausdrücklich betonen, dass wir unser Volk niemals über ein anderes stellen. Jedes Volk, und somit jede Kultur, hat sich in Jahrhunderten entwickelt und ist somit schützenswert", las Wohlleben vor. Dann sagte er: "Diese Sätze würde ich auch heute noch genauso unterschreiben."

Für Opferanwalt Reinecke sind das bloße Lippenbekenntnisse. Als Beleg für Wohllebens Ausländerfeindlichkeit wertet er nicht nur die Tatsache, dass der Angeklagte das Lied "Türken raus" und eine Menge weiterer rassistischer Lieber besaß. Auch die besonders schlechte Qualität der Aufnahme des Liedes der Böhse Onkelz zeige, so Reinecke, dass Wohlleben das Lied "nicht als Musik heruntergeladen und gespeichert" habe, sondern, weil er die darin verbreiteten rassistischen Ansichten teile.

Rückschlüsse auf Wohllebens nach wie vor vorhandenen Ausländerhass lässt nach Ansicht des Nebenklagevertreters auch eine Presseerklärung seiner Verteidiger zu. Die Anwälte Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath hatten im November 2015 ein Schreiben im Internet veröffentlicht, das sich wie eine Botschaft an die rechte Szene las. Dort, auf Internetseiten verschiedener rechter Parteien, war es auch veröffentlicht worden. Die Anwälte hatten darin angekündigt, dass nach Zschäpe auch Wohlleben sein Schweigen brechen werde. Wohlleben trieb offenbar die Sorge um, durch eine Aussage vor Gericht als Verräter unter seinen Gesinnungsgenossen zu gelten. So beteuerten seine Anwälte in der Erklärung: "Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben".

Opferanwalt Reinecke konfrontiert die Verteidiger an diesem Tag nun mit ihren eigenen Worten. Wenn Wohlleben seinen politischen Überzeugen treu geblieben ist, hat sich seine Gesinnung also nie geändert. Dann können aber auch Funde auf Wohllebens Rechner, die einige Jahre alt sind, gegen ihn verwendet werden, so Reinecke. Wohllebens Verteidiger hatten an vorherigen Prozesstagen wiederholt betont, dass unter anderem rechtsextreme Texte und Lieder, die sich auf Wohllebens Computer fanden, ihrer Meinung nach keine Aussagekraft für die politische Einstellung ihres Mandaten heute und zur mutmaßliche Tatzeit hätten. Die Dateien seien dafür viel zu alt, sagten sie. Reinecke verwendete nun ihre eigenen Worte, um ihnen zu widersprechen und verwies auf die Presseerklärung.

Am Ende des Verhandlungstages nahm Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten schließlich Stellung zum Antrag der Verteidiger von Wohlleben, NPD-Funktionär Olaf Rose im NSU-Prozess als Sachverständigen zur Person Rudolf Heß zu hören. Den Verteidigern ging es unter anderem um eine Flugreise des Hitler-Stellvertreters Heß im Jahr 1941. Ob die Anwälte ernsthaft meinen, Ereignisse aus dem Jahr 1941 hätten irgendeine Bedeutung für den Tatvorwurf gegen ihren Mandanten, darf bezweifelt werden. Weingarten geht davon jedenfalls nicht aus. Er warf Klemke, Nahrath und Schneiders vielmehr vor, mit derart absurden Anträgen den Prozess mutwillig verzögern zu wollen. "Da das Prozessverhalten der Verteidigung Wohlleben bisher keinen Anlass zu der Annahme gegeben hat, dass sie nur versehentlich mit abwegigen Beweisanträgen zu verteidigen sucht, ist in diesem Antrag erneut der Versuch der Prozessverschleppung zu sehen", sagte er.

Das Gericht selbst trug an diesem Tag allerdings auch wenig zum Fortgang des Prozesses bei. Nach nur 40 Minuten endete der 324. Verhandlungstag. Am Mittwoch wird der NSU-Prozess fortgesetzt.

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