Süddeutsche Zeitung

Absturz über der Ukraine:Starke Hinweise auf Verbindung Putins zu Abschuss

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Ermittler sind der Ansicht, dass der Kremlchef 2014 die Verlegung von Raketen in die Ukraine billigte, mit denen Flug MH17 getroffen wurde. Bei dem Vorfall starben 298 Menschen.

Von Thomas Kirchner, München

Der Verdacht hatte nahegelegen: Als prorussische Separatisten am 17. Juli 2014 versehentlich den Flug MH17 über ukrainischem Gebiet mit einer Rakete vom Himmel holten und 298 Menschen an Bord töteten, handelten sie nicht auf eigene Faust. Ihr Einsatz und die Verlegung des Buk-Systems, das sie kurz vorher aus Russland geholt hatten, an genau diese Stelle, das alles war von ganz oben genehmigt worden. Mutmaßlich vom Kreml, der erwiesenermaßen die Fäden zog bei dieser Rebellion. Ein Team von Ermittlern aus den am stärksten von dem Unglück betroffenen Ländern hat diesen Verdacht, den Moskau vehement dementiert, am Mittwoch in Den Haag bestätigt.

Demnach wurde das Gesuch der Rebellen nach Luftverteidigung mit höherer Reichweite im Juni 2014 in einem Beratungsgremium von Russlands Präsident Wladimir Putin besprochen. Das Gremium legte den Wunsch anschließend dem Verteidigungsminister und dem Präsidenten vor und erhielt ein positives Signal. Die Entscheidung sei um einige Tage ausgesetzt worden, sagte ein russischer Regierungsmitarbeiter in einem Telefonat, das die Ermittler abhörten, "weil es nur einen gibt, der beschließt (...), die Person, die zu dieser Zeit auf einem Gipfel in Frankreich ist". Putin befand sich Anfang Juni auf den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Invasion der Alliierten 1944 in der Normandie.

Es sei unklar, ob in dem Gesuch ausdrücklich von der letztlich beim Abschuss benutzten Buk-Telar die Rede gewesen sei, schreiben die Ermittler in einem Bericht. Sie sprechen deshalb auch nur von "starken Hinweisen" auf eine Beteiligung Putins. Hinweise auf die Verwicklung Putins gehen demnach auch aus einem 2017 geführten Gespräch zwischen Putin und dem Verwaltungschef der Separatistenregion Luhansk hervor.

Strafrechtliche Folgen haben die Ergebnisse nicht

Ein "vollständiger und schlüssiger Beweis", wie er in einem Gerichtsverfahren nötig sei, habe aber nicht erbracht werden können. Ohnehin genieße Putin als Staatsoberhaupt diplomatische Immunität. Ebenfalls konnte eine direkte Beteiligung oder Verantwortung weiterer Menschen bei dem Abschuss von MH17 nicht bewiesen werden, sodass zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Verfahren eingeleitet würden. "Die Ermittlungen sind an einem Ende angelangt", sagte Staatsanwältin Digna van Boetzelaer. "Die Erkenntnisse reichen nicht für die Strafverfolgung neuer Verdächtiger aus."

MH17 war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über umkämpftem Gebiet abgeschossen worden. Im November 2022 wurden zwei Russen und ein Ukrainer, die führende Positionen bei den Rebellen innehatten, von einem Gericht in Amsterdam wegen 298-fachen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Ein Mann wurde freigesprochen. Keiner der Angeklagten nahm an dem Prozess teil. 196 Opfer waren Niederländer, daher fand der Prozess auch in dem Land statt.

Das Gericht berief sich im Urteil maßgeblich auf die Erkenntnisse des internationalen Teams. Basierend auf Tausenden Beweisstücken, Satellitenfotos, abgehörten Gesprächen und weiteren Geheimdiensterkenntnissen präsentierten die Ermittler nun eine Art Abschlussbericht ihrer mehr als achtjährigen Untersuchungen. "Wir sind weiter gekommen, als wir je vermutet hätten", sagte van Boetzelaer auf die Frage, ob sie enttäuscht sei, Putin oder andere Verantwortliche nicht vor Gericht bringen zu können. "Die Welt weiß nun, was mit Flug MH17 geschah." Ihre Ermittlungen könnten auch in anderen künftigen Verfahren von Nutzen sein.

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