Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin vor der Bundespressekonferenz:Dirigentin Merkel mag nur eine Melodie

Lesezeit: 3 min

Wenn es die Finanzkrise nicht gäbe, müsste Merkel sie erfinden. Die Kanzlerin gibt sich bei ihrer Sommerpressekonferenz als Dirigentin des Euro-Sinfonie-Orchesters. Um den profanen Rest - Zuschussrente, Endlager, Energiewende - sollen sich andere kümmern. Ihre Botschaft lautet: Sie bleibt Kanzlerin. Egal, wer mitregiert.

Thorsten Denkler, Berlin

Hand hoch, Kameras klicken. Hand runter, Kameras verstummen. Hand rauf, klicken. Hand runter, Stille. Hand rauf, klicken. Hand runter ... - Gelächter im Saal der Bundespressekonferenz.

Da vorne sitzt Bundeskanzlerin Angela Merkel und dirigiert ein eigenwilliges Konzert der Fotoapparate. Mr. Bean oder auch Loriot hatten mit ähnlichen Nummern schon Lacherfolge. Die Symbolik des Bildes könnte Merkel gefallen. Die Kanzlerin als Dirigentin. Nur sieht sie sich lieber als Dirigentin des großen Euro-Sinfonie-Orchesters.

Der Euro ist das alles bestimmende Thema an diesem Morgen in der traditionellen Sommerpressekonferenz der Kanzlerin. Als die Kameras laut klicken, redet sie gerade über Wachstum. Warum es gut ist, dass Deutschland nicht noch mehr spart: Die Binnenkonjunktur soll nicht abgewürgt werden. Zu viel Sparen würde zu noch mehr Unwuchten im Euro-Raum führen. Die vom Kabinett beschlossene Senkung des Rentenbeitrags ist also in ihren Augen eine Art Konjunktur- und Euro-Rettungsprogramm zugleich.

Merkel spricht über die Euro-Krise, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Es geht um Zinssätze, geopolitische Herausforderungen, Geldpolitik, Schuldenbremse, Griechenlandhilfen, ESM, ESFS, Bankenaufsicht, Durchgriffsrechte, Rekapitalisierung. Wäre die Euro-Krise ein Ozean, Merkel würde darin schwimmen wie ein Fisch. Würde es die Euro-Krise nicht geben, Merkel müsste sie erfinden.

Alles andere tropft an ihr ab

Sie ist der Garant für Merkels Macht. Alles andere tropft an ihr ab. Die Pannen bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen. Der Streit um die Zuschussrente ihrer einstigen Lieblingsministerin Ursula von der Leyen. Ihre Rolle als Umweltministerin in Sachen Endlager Gorleben. All diese Punkte sind Lappalien im Vergleich zu dieser Krise. Merkel macht es wie einst Helmut Kohl. Sie kümmert sich um Europa. Die anderen um den ganzen vermaledeiten Rest.

Manchmal wird sie nach solchen Lappalien gefragt. Nach der Zuschussrente etwa, ob das die Lösung für das Problem der Altersarmut sein kann. Merkel bügelt so etwas schnell ab. "Wir werden Ihnen mitteilen, wenn wir die Antwort haben." Warum gibt es noch kein Endlagergesetz? Weil sich Bund und Länder noch nicht einig seien. Warum geht es mit der Energiewende nicht voran? "Ich bin überzeugt, dass wir die Energiewende schaffen." Hält sie einen Angriff auf Iran auch für "nicht illegitim" wie ihr Verteidigungsminister Thomas de Maizière? "Der politische Spielraum ist nicht ausgeschöpft." Ansonsten will sie die Worte ihres Ministers "nicht kommentieren".

Dass sie zu möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl nichts sagen will, geschenkt. Es ist schon ein Erfolg, dass sie sich zu Spitzen gegen die SPD hinreißen lässt. Sie hat eine große und eine schwarz-gelbe Koalition regiert. Welche Unterschiede macht sie aus? "Der Unterschied ist: In einer großen Koalition gibt es immer einen, der auch den Kanzler stellen will." Also einen, der ihr den Job streitig machen möchte. Will die FDP das nicht auch, fragt einer - es ist nicht ganz ernst gemeint. Merkel will solche Späße heute nicht verstehen. "Philipp Rösler ist gerne Vizekanzler, und das kann ich gut verstehen."

Die Koalition gilt in vielen Punkten als zerstritten, unprofessionell, handwerklich miserabel. Merkel sagt nur: "Ich finde, dass wir als Regierung so dastehen, dass wir anstehende Probleme lösen können."

Und dass CSU-Chef Horst Seehofer es für wichtiger hält, Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in München zu beschäftigen als in Berlin? Das gehöre zur "möglichen Mobilität" im politischen Leben. Manche Fragen klingen fast devot: Wie geht sie damit um, dass sie als mächtigste Kanzlerin in der deutschen Geschichte gilt? Da kann sie sich dann jovial zeigen: Na ja, "der Einfluss meines Vorgängers hat zumindest gereicht, den Stabilitätspakt aufzuweichen".

"Ich bin voll beschäftigt"

Fragen, die entfernt die Innenpolitik betreffen, blockt Merkel eher ab, als dass sie sie beantwortet. Das wird wohl auch ihre Strategie für den Bundestagswahlkampf sein. Bloß nicht den Verdacht aufkommen lassen, als könne es da um sie gehen, um ihren Kanzler-Sessel. Nein, sie hat keine Zeit um sich um so profane Fragen des politischen Alltags zu kümmern. "Wie Sie gesehen haben, bin ich auch voll beschäftigt", sagt sie. Sie setzt noch ein entschiedenes "Bin ich!" hinterher. Damit keiner auf die Idee kommt, etwas Gegenteiliges zu glauben.

Ihre wahre Botschaft an diesem Tag ist: Sie bleibt Kanzlerin. Egal, wer unter ihr mitregiert. Lieber mit der FDP, okay. Aber eine große Koalition "kann man nicht ausschließen". Nicht festlegen, einfach weiter regieren. Und womöglich darauf hoffen, dass die Krise nicht 2013 plötzlich vorbei ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1470255
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.