Süddeutsche Zeitung

Theodor-Herzl-Preis:Sorgen und Selbstbehauptung

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Von Matthias Drobinski, München

Die Bronzebüste zeigt einen so gütigen wie langbärtigen Theodor Herzl, den durch nichts zu entmutigenden Visionär eines Judenstaates. Jedes Jahr überreicht der World Jewish Congress (WJC), der jüdische Weltkongress, eine solche Büste einer Person, die sich für eine tolerante Welt und fürs jüdische Leben einsetzt. Dieses Jahr ist es Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin; WJC-Präsident Ronald S. Lauder ist nach München gekommen, in den großen Saal der dortigen Israelitischen Kultusgemeinde.

Der Rahmen ist feierlich, der Ehrentisch quillt über von weißen Rosen. Die Stimmung aber ist besorgt, bei manchen gedrückt. Der antisemitische Anschlag in Halle hat viele in den jüdischen Gemeinden schockiert. Eine Umfrage des WJC bestätigt, was sie ahnten: Jeder vierte Deutsche hegt antisemitische Vorurteile. Und bald jeder vierte Wähler hat gerade in Thüringen für die AfD des rechtsradikalen Björn Höcke gestimmt.

Da kommt die Preisträgerin im richtigen Moment: Angela Merkel, die Kanzlerin, gilt als sensibel den Sorgen der Juden in Deutschland gegenüber, als treue Freundin des Staates Israel. Der Anschlag gegen die Synagoge von Halle hätte "die gesamten Gesellschaft ins Herz getroffen", sagt sie. Hass und Antisemitismus träfen "den Kern des Zusammenlebens". Der Staat müsse "alles tun, damit Juden frei und sicher leben können". Das beginne nicht erst bei Straf- und Gewalttaten; schon Pöbeleien gegen Juden auf der Straße seien nicht hinnehmbar. "Jüdisches Leben ist Teil der Identität Deutschland", sagt sie. So etwas tut gut, wenn der Zweifel nagt, ob das wirklich so viele Deutsche noch so sehen.

"Wir sind da, und wir bleiben da", sagt der Präsident des Zentralrats der Juden

Für die Besorgten hat zuvor Ronald S. Lauder gesprochen, der WJC-Präsident. "Wir hören Stimmen, die wir seit 1945 nicht gehört haben," sagt er, "wir sehen Ereignisse, die wir seit zwei Generationen nicht mehr gesehen haben". Das Problem sei "kein jüdisches Problem, es ist ein deutsches." Alle müssten nun gegen "Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit, Fremdenfeindschaft und Homophobie" aufstehen. Lauder fordert Polizeischutz für jüdische Einrichtungen, schärfere Strafen für antisemitische Attacken und Hass im Internet. Parteien müssten Mitglieder ausschließen, die sich antisemitisch äußern. Und solche "die eine Neonazi-Ideologie vertreten", gehörten verboten.

Das greift weder die Kanzlerin noch der bayrische Ministerpräsident auf - aber Markus Söder (CSU) greift scharf den Thüringer AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke an. Wenn seine Anhänger nicht unterscheiden könnten, welche Sätze von Höcke stammten und welche aus Adolf Hitlers 'Mein Kampf', dann liege es "vielleicht daran, dass es keinen Unterschied gibt", sagt er. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus müsse mit allen Mitteln des Rechtsstaates geführt werden. Die Juden in Deutschland müssten wissen: "Ein Angriff auf Sie ist ein Angriff auf uns."

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter spricht von "Beschämung, Abscheu und Wut" angesichts von Hass und Gewalt. Er sei aber auch stolz darauf, dass die große Mehrheit im Land "sich vehement gegen diejenigen wehrt, die mit Hass und Hetze über ethnische, religiöse und gesellschaftliche Minderheiten herfallen."

Es gibt die Anderen, die nach dem Terror spontan Menschenketten um die Synagogen bildeten. Auch Charlotte Knobloch betont das, die Präsidentin der gastgebenden Gemeinde. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagt trotzig: "Wir sind da, und wir bleiben da. Wir lassen uns nicht vertreiben, schon gar nicht mit Waffen und Sprengstoff." Charlotte Knobloch wird 87 Jahre alt an diesem Montag. Es gibt ein Ständchen. Man kann ja auch fröhlich sein, trotz aller Sorgen.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2019
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