Süddeutsche Zeitung

Politik:"Demokratische Werte sind unsterblich"

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Am heutigen Dienstag jährt sich der Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. In der Stadt bleibt die Erinnerung an ihn wach.

Von Franziska Dürmeier, Kassel

Walter Lübcke stand für demokratische Werte, eine humane Flüchtlingspolitik, positionierte sich offen gegen den örtlichen Pegida-Ableger. So auch bei einer Bürgerversammlung 2015; ein Video seines Auftritts wurde anschließend im Netz verbreitet. Es folgte Hass, es folgten Morddrohungen. Knapp vier Jahre später, in der Nacht zum 2. Juni 2019, starb der Kasseler Regierungspräsident. Der damals 65-Jährige wurde auf der Terrasse seines Wohnhauses durch einen Kopfschuss ermordet, mutmaßlich von einem Rechtsextremisten.

Nun jährt sich der Mord an dem CDU-Politiker und eine Stadt versucht, in Tagen großer physischer Distanz eine Nähe zu Walter Lübcke herzustellen und zu dem Bekenntnis, für das er eintrat. Wegen der Corona-Pandemie wurden alle Veranstaltungen in Kassel abgesagt, verschoben oder in den digitalen Raum und in kleine Gesten verlegt. So begann für viele Weggefährten Lübckes der Jahrestag allein vor dem Bildschirm. Händeschütteln und Umarmungen mussten ausfallen.

"Es bleibt ein sehr stiller Tag", sagte Lübckes Nachfolger, der heutige Regierungspräsident Hermann-Josef Klüber, nach der Online-Andacht, einer Aufzeichnung aus der Kasseler Martinskirche. Nach Lübckes Tod sei man im Regierungspräsidium näher zusammengerückt und in der Region achtsamer geworden. "Die größte Gefahr geht derzeit vom Rechtsradikalismus aus", sagt Klüber, "da muss man mit aller Kraft dagegen vorgehen und Haltung zeigen."

Das graue, hohe Regierungspräsidium an der Fulda, wo Lübcke arbeitete, wirkt am Jahrestag verwaist, wegen des Coronavirus ist es für den Publikumsverkehr gesperrt. Auf den Treppen liegen Blumen, an der Gebäudefront ist ein großes Banner angebracht, "Demokratische Werte sind unsterblich" steht drauf. Der Satz ist auch anderswo in der Stadt zu finden, die Menschen wurden aufgerufen, eine Kopie des Plakats ans Fenster zu hängen oder in den sozialen Netzwerken zu teilen.

Haltung zeigen, heißt es immer wieder. Auch bei einer Online-Diskussionsrunde über rassistisch motivierte Gewalt, die eigentlich als große Podiumsdiskussion geplant war. "Man muss Haltung zeigen, indem man sich bedingungslos solidarisch erklärt mit Menschen, die Opfer von Hetze und Gewalt sind", sagt Daniel Hornuff, Professor an der Kunsthochschule Kassel, der die Keynote hielt, der Süddeutschen Zeitung.

Walter Lübcke war für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig und wurde wegen seines Engagements bedroht. Seit seiner Ermordung werden in Deutschland solche Bedrohungen ernster genommen, aufgehört haben sie nicht. Das zeigt die Corona-Krise, in der viele Politiker zur Zielscheibe für Hassattacken werden.

Das Jahr nach der Ermordung Lübckes ist auch das Jahr von Hanau und Halle. Und ein Jahr, in dem rechte Straftaten in Hessen stark zunehmen. Dem hessischen Innenministerium zufolge lässt sich der Anstieg auch auf vermehrte Kontrollen in der rechten Szene zurückführen, etwa durch die im Juli 2019 gegründete Ermittlungsgruppe "Besondere Aufbauorganisation". Zudem gibt es seit Januar eine Meldestelle für Hass im Internet.

Im Fall Lübcke ist zwar noch vieles unklar, doch schon jetzt zeichnet sich ab: Es gibt Ungereimtheiten. Der Hauptverdächtige Stephan E. war Hessens Verfassungsschutz bekannt. Trotzdem habe man von ihm nichts mehr mitbekommen. Der Prozess am Oberlandesgericht Frankfurt soll in zwei Wochen beginnen. Bestätigt sich der Verdacht, wäre es der erste von einem Rechtsextremen verübte Mord an einem Politiker in Deutschland nach 1945.

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SZ vom 03.06.2020
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