Süddeutsche Zeitung

Labour:Alle gegen jeden

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Die britische Opposition hätte in den nächsten Wahlen gegen Boris Johnson die besten Chancen. Aber sie bekriegt sich am liebsten selbst.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

In einigen Wochen schon könnte in Großbritannien gewählt werden. Der 31. Oktober, der Brexit-Tag, hängt wie ein Damoklesschwert über dem Land. Der Oberste Gerichtshof wird in diesen Tagen ein Urteil fällen, das Verfassungsgeschichte schreiben und die Regierung massiv unter Druck setzen wird. Die Briten sind müde, wütend, traurig, genervt, ratlos. Die Lage schreit nach Klarheit, Rationalität und Anstand. Was aber tut die Führung von Labour zum Auftakt ihres Parteitages? Sie bricht einen internen Lagerkrieg vom Zaun, sie spaltet, sie intrigiert, sie laviert. Man kann es nicht anders sagen: Jeremy Corbyn, Parteichef seit 2015, ist der Falsche, um Labour - und letztendlich auch das Land - zu führen.

Die linke Graswurzelbewegung Momentum, die Corbyn im Amt hält, übernimmt zunehmend die Kontrolle. Bewährte, populäre Abgeordnete kämpfen um ihr politisches Überleben. Corbyn-kritische Politiker in Stadträten und Parlamenten werden abgewählt und durch loyale Kandidaten ersetzt. Debatten werden abgetötet. Wo sich Dissens hält, wie in der Studentenbewegung, wird die ganze Gruppe abgeschafft. Wer der Parteilinie laut widerspricht, wird bedroht. Einer der engsten Berater Corbyns hat am Wochenende das Handtuch mit der Begründung geworfen, er habe die Lügen und Ausreden satt, es fehle an Anstand und Professionalität.

Großbritannien befindet sich in einer multiplen Ausnahmesituation; die großen Parteien sind seit Langem schon zerrüttet, die institutionellen Krisen und die politische Lähmung sind auch Abbild des Zustands der Parteien. Die Liberaldemokraten haben sich gerettet, indem sie früh einen eindeutigen Brexit-Kurs gesteuert haben: Ohne Zweifel stehen sie für die EU-Mitgliedschaft ein. Aber die kleine Partei musste eben auch nie ein starkes Leave-Lager befrieden. Für Labour und Tories, die sich lange als "broad churches", als Auffangbecken für verschiedenste Strömungen definierten, gerät die Ausrichtung in der historischen Frage des EU-Austritts zum permanenten Purgatorium.

Die Konservative Partei ist darüber in zwei Lager zerfallen. Kritiker wurden aus der Partei geworfen, die Regierung wird von parteifremden Beratern gesteuert, der anarchische Kurs von Premier Boris Johnson stößt viele zentristische, europafreundliche Mitglieder ab. Immerhin: Er gibt jetzt eine klare Richtung vor: raus. Bei der nächsten Wahl wird er den größten Teil der Leave-Stimmen einsammeln.

Wo aber steht Corbyn? Schon auf dem letzten Parteitag, 2018, forderten die Delegierten ein klares Ja zur EU, ein eindeutiges Ja zu einem zweiten Referendum. Der Druck wächst, dass sich die Partei an die Spitze der Bewegung gegen den Brexit setzt. Corbyn sagt nicht Ja, er sagt aber auch nicht Nein. Er will "neutral" bleiben, den anstehenden Wahlkampf ohne eine Positionierung in dieser existenziellen Frage führen, und erst hinterher, sollte es zu einem Referendum kommen, Stellung beziehen. Das ist Volksverdummung, es ist feige, es ist falsch.

Corbyn und seine Fantruppe Momentum sind dabei, die breite Kirche, die Labour war, in eine leninistische Kaderorganisation umzuformen. Dazu werden Statuten umgeschrieben, Programme angepasst. Labour wird die Wahlen haushoch verlieren, weil die Wähler kein Vertrauen in diesen Parteichef haben. Es ist das Versagen der großen, alten Partei, dass sie Großbritannien mitten in der schlimmsten Krise seit 1945 alleinlässt.

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SZ vom 23.09.2019
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