Süddeutsche Zeitung

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen:"Das hier ist ein Friedhof und kein Ort für rechte Propaganda"

Lesezeit: 3 min

Von Jana Anzlinger und Oliver Das Gupta

Als seine Zuhörer die Existenz von Gaskammern leugneten, war die Geduld des Mitarbeiters der Gedenkstätte Sachsenhausen zu Ende: Er warf die Besucher vom Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers.

Der Vorfall trug sich schon im Juli zu, und die hohe Politik betrifft er auch. Eingeladen hatte die rechten Besucher AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Die Gäste "störten und intervenierten" während der Führung den Referenten in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen "von Anfang an massiv". So drückt es der Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Horst Seferens im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung aus.

Die Besucher hätten ununterbrochen mit Fragen eingehakt wie "können Sie das beweisen?", obwohl sie sich ja am Ort des Geschehens inmitten von Beweisen befanden. Dem Mitarbeiter der Gedenkstätte warfen sie Seferens zufolge sowohl Inkompetenz als auch Manipulation der Fakten vor. "Der Kollege hat die Gruppe dann zum Ausgang begleitet", schildert der Sprecher. Die Führung war damit nicht nur für die Störer, sondern auch für die mehr als ein Dutzend weiteren Teilnehmer zu Ende.

Dabei hatte sich die Gedenkenstättenverwaltung Seferens zufolge sogar eigens für die AfD-Gruppe gewappnet. Regelmäßig gebe es zudem für die Historiker, die die Führungen machen, Schulungen zur Abwehr rechter Propaganda. Aber auch die Gegenseite war vorbereitet: "Die fünf waren richtig versiert in der revisionistischen Literatur, die kannten die Argumentationsketten, die gerade noch so legal sind." Das Leugnen des Holocaust, der systematischen Vernichtung der Juden durch die Nazi-Diktatur, ist in Deutschland strafbar.

Die Gedenkstätte hat die AfD-nahen Störer deshalb zunächst nicht angezeigt. Die Polizei wurde durch einen Bericht des Tagesspiegel auf den Fall aufmerksam und ermittelt nun doch. Seferens betont, man wolle weiterhin AfD-Besuchergruppen erlauben, wenn auch mit "besonderem Augenmerk".

Jeder Bundestagsabgeordnete, und damit auch Weidel, darf Interessierte aus dem eigenen Wahlkreis zu einer Inforeise nach Berlin einladen, die von der Bundesregierung und damit letztlich vom Steuerzahler finanziert wird. Die Gedenkstätte ist ein typischer Programmpunkt dieser Fahrten. Organisiert werden sie vom Bundespresseamt, das zur Bundesregierung gehört und sie Medien gegenüber vertritt.

Immer mehr Menschen besuchen ehemalige KZs

Der Eklat passt zu der Debatte um den Umgang mit Rechten und Holocaustleugnern, die Gedenkorte besuchen möchten. Es besteht die Befürchtung, dass die Rechten sich dadurch Wallfahrtsorte schaffen. Oder provozieren wollen, so wie der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner, der kürzlich das ehemalige KZ Buchenwald besucht hat. Andererseits gelten die Gedenkstätten als Orte, die gerade für Unsichere sehr lehrreich sein können. Sie sind der ultimative Beweis dafür, dass der nationalsozialistische Massenmord stattgefunden hat: Wer die Baracken mit den engen Pritschen, die Menschenversuchslabore und nicht zuletzt die Öfen für die Leichen sieht, kann die Gräuel des "Dritten Reiches" kaum noch abstreiten.

Das öffentliche Interesse an ehemaligen Konzentrationslagern ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen, besonders seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Je länger das Ende des Zweiten Weltkriegs zurückliegt, desto mehr Menschen besuchen ehemalige KZs, wie deutsche Gedenkstätten der Süddeutschen Zeitung bestätigten:

  • Das ehemalige KZ Neuengamme verzeichnete einen deutlichen Anstieg der Besucherzahlen. Besichtigten 2007 rund 61 000 Menschen das Lager nahe Hamburg, wuchs deren Zahl auf mehr als 105 000 im Jahr 2017.
  • Eine ähnliche Entwicklung gibt es im oberpfälzischen Flossenbürg. Die Besucherzahl der dortigen KZ-Gedenkstätte wuchs von 2007 bis 2017 von 64 000 auf fast 90 000.
  • Den Bremer Gedenkort "Bunker Valentin", wo KZ-Häftlinge, verschleppte Osteuropäer und Italiener sich oft zu Tode schuften mussten, besuchten früher 3000 bis 5000 Interessierte im Jahr - seit der Neugestaltung 2015 sind es etwa 30 000 Besucher.
  • Die Gedenkstätte des KZ Dachau beobachtet "im letzten Jahrzehnt ein stetig steigendes Besucherinteresse". Zu der Anlage nördlich von München, die in Nazi-Deutschland in seinem Aufbau zum Vorbild für alle großen Konzentrationslager wurde, kamen im Jahr 2017 etwa 800 000 Menschen.
  • Horst Seferens vermeldet in Sachsenhausen, wo die AfD-Besuchergruppe zu Besuch war, eine Verdopplung im letzten Jahrzehnt: 2007 kamen etwa 350 000 Besucher, 2017 etwa 700 000.

Das 1936 entstandene Lager in Sachsenhausen galt den Nazis auch als eine Art Vorzeige-KZ. Das flächenmäßig sehr große Lager nördlich von Berlin galt als praktisch aufgebaut, SS-Leute wurden dort ausgebildet. Insgesamt wurden mehr als 200 000 Menschen nach Sachsenhausen deportiert.

"Wir haben die Aufgabe, die Pietät dieses Ortes zu wahren", sagt Seferens. "Unter unseren Füßen liegen Zehntausende begraben. Das hier ist ein Friedhof und kein Ort für rechte Propaganda." Auch in der Vergangenheit habe es Anfeindungen gegeben. "Aber das hier ist eine neue Dimension, die uns immer noch schockiert."

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