Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Rücktritt eines Einsamen

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Thomas Kutschaty war der Chef des größten SPD-Landesverbands. Nach der Wahlniederlage 2022 stand die Partei zu dem Verlierer - der nun doch abtritt.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Müde steht Thomas Kutschaty mittags hinterm Rednerpult, nach zweieinhalb Minuten tonloser Rede bestätigt der 54-Jährige die jähen Gerüchte dieses verregneten Donnerstagvormittags: Kutschaty tritt als Chef von Nordrhein-Westfalens SPD zurück . Der Abgang eines landes- wie bundesweit weitgehend Unbekannten erschüttert nicht die Republik. Wohl aber ihre älteste Partei, die SPD: Kutschaty hinterlässt ein Vakuum im größten Landesverband der deutschen Sozialdemokratie.

Am Nachmittag mehren sich die Hinweise, Kutschaty könne weitere Parteiämter hinwerfen. Dass er das Amt als SPD-Fraktionschef und Oppositionsführer im Landtag behält, bezweifeln mehrere Parteifreunde. Und, so raunt es über die Düsseldorfer Parlamentsflure, "der Thomas klebt nicht mal am Posten in Berlin." Dort ist Kutschaty immerhin einer der fünf stellvertretenden Vorsitzenden der alten Tante SPD.

Ein überraschender Personalvorschlag ist wohl der Auslöser des Rücktritts

Kutschaty, so deuten etliche NRW-Genossen die Lage, habe sich zuletzt selbst in die Enge getrieben und sogar zu Vertrauten den Kontakt abreißen lassen. Dieser "Rückzug in Innere" gipfelte diese Woche in einem völlig überraschenden Personalvorschlag: Die unbekannte Bonner Lokalpolitikerin Magdalena Möhlenkamp solle beim Parteitag der NRW-SPD im Mai zur neuen Generalsekretärin gekürt werden. Die mächtigen Regionalchefs der Landespartei widersprachen ebenso einstimmig wie am Mittwochabend das Parteipräsidium in einer Telefonkonferenz. Kutschaty - isoliert und blamiert - zog die Konsequenz.

Noch im Frühjahr vorigen Jahres hatten die Genossen ihren Parteichef geschont. Da verlor der Jurist und frühere Justizminister aus Essen die Landtagswahl erstaunlich deutlich: am Wahlabend lag Kutschaty satte neun Prozentpunkte hinter Hendrik Wüst (CDU), der seither die so genannte "Avocado-Koalition" mit den Grünen anführt.

Die Sozialdemokraten unterwarfen sich einer ausführlichen Wahlanalyse, direkte Schuldzuweisungen gegenüber dem blassen Spitzenkandidaten blieben jedoch aus. Vertraulich räumten mehrere führende Sozialdemokraten sogar ein, man müsse Kutschaty dankbar sein - "denn der hat unsere generelle Personalschwäche sogar noch verdeckt". Allerdings hatte Kutschaty bereits im Wahlkampf betont, sein Selbstwertgefühl sei nicht abhängig von politischen Ämtern. Er könne "jederzeit wieder Anwalt in Essen" werden, das sei "ein schöner Beruf"

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