Süddeutsche Zeitung

Twitter-Verzicht von Kevin Kühnert:Habeck mit Hintertür

Lesezeit: 3 min

Der SPD-Generalsekretär will Twitter nicht mehr nutzen. Seine Erklärung ähnelt jener des heutigen Wirtschaftsministers von 2019. Interessant ist, dass Kühnert den Abschied von einem sozialen Medium in einem anderen sozialen Medium erklärt.

Von Oliver Klasen

Man weiß ja nicht, ob Kevin Kühnert mal mit Robert Habeck telefoniert hat, so von Abstinenzler zu Abstinenzwilligem. Habeck, damals Grünen-Chef, heute Wirtschaftsminister, hätte Kühnert, SPD-Generalsekretär, erzählen können, wie das so war, im Jahre 2019, als sich Habeck entschieden hatte, Twitter (und Facebook) Adieu zu sagen. Wie die Entwöhnungsphase verlief, ob es Entzugserscheinungen gab, ob er den Entschluss in manchen Momenten bereut hat, solche Sachen.

"Dieser Account existiert nicht", das war am Montag plötzlich zu lesen, wenn man Kühnerts Profil auf Twitter anklickte. Vielleicht ist er ja gehackt worden, mag mancher anfangs gedacht haben. Doch in einem Videointerview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das am Montagabend gezeigt wurde, klärte Kühnert auf, warum er nicht mehr bei Twitter dabei sein will, obwohl er dort 370 000 Follower hat und noch viel mehr Menschen erreicht, die ihm zwar nicht direkt folgen, aber seine Beiträge mitbekommen.

Die, nennen wir es mal Verzichtserklärungen von Kühnert und Habeck gleichen sich auf den ersten Blick. Kühnert sagt, im September 2022: "Ich finde einfach, dass die Diskussionskultur, wie sie auf Twitter stattfindet, und die Art und Weise, wie dort Gesellschaft repräsentiert oder, ich würde sagen absolut gar nicht repräsentiert wird, dass das zu Fehlschlüssen und Irrtümern in politischen Entscheidungen führt. Zumindest habe ich das bei mir selbst festgestellt, dass ich eine verzerrte Wahrnehmung von Wirklichkeit habe, wenn ich zu viel Zeit in dieser App verbringe".

Habeck schrieb, im Januar 2019, in einer Erklärung auf seinem Blog: "Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium, so aggressiv. Und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein - und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen."

Auch in einem anderen Punkt weisen die Fälle eine Ähnlichkeit auf. Das Twitter-Aus ist jeweils die Reaktion auf verunglückte öffentliche Äußerungen zuvor. Habeck hatte in einem von ihm selbst aufgenommenen Video über die Thüringen-Wahl gesprochen und ein dahingeworfener Satz wurde ihm von gehässigen Kommentatoren - und Twitter ist eben voll von denen - so ausgelegt, als spreche er Thüringen bisher ab, demokratisch zu sein und allein durch starke Grüne demokratisch werden zu können.

Kühnert hat am Montagmorgen bei n-tv ein Interview gegeben, das er anschließend als "nicht eines der besten Interviews in meiner Karriere" bezeichnete. Vom Moderator angesprochen auf Forderungen, Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern, wiederholte er zunächst die Position, die auch der Kanzler seit Wochen vertritt, nämlich, dass Deutschland keine Alleingänge in dieser Frage machen werde - eine reine Ausweichantwort selbstverständlich, um sich nicht klar positionieren zu müssen. So weit, so üblich für einen SPD-Generalsekretär, der dem Kanzler nicht in den Rücken fallen will. Kühnert garnierte seine Äußerung allerdings mit dem Satz, dass nach wie vor gelte, dass "wir nicht schleichend hingezogen werden wollen in diesen Krieg, dass wir Russland nicht dazu animieren wollen, völlig irrational zu handeln und noch andere Staaten anzugreifen".

Dieser Satz wurde ihm auf Twitter so ausgelegt, als sei ihm das Schicksal der Menschen in der Ukraine egal und als antizipiere er im Vornhinein eine nicht vorherzusehende russische Reaktion auf die Lieferungen von Panzern. Twitter-User beschimpften ihn als Enkel von "Gas-Gerd", die gesamte SPD wurde als "fünfte Kolonne Putin" tituliert.

Interessant ist, dass Kühnert seinen Rückzug von einem sozialen Medium in einem anderen sozialen Medium rechtfertigte. Hatte er seinen Twitter-Verzicht in dem Interview mit dem RND noch damit begründetet, dass er jenes Medium ja bereits seit Monaten kaum noch nutze und es ihm derzeit eben nicht als der für ihn passende Kommunikationskanal erscheine, so plauderte er auf Instagram am späten Montagabend in dem Format "Die K-Frage" mit SPD-Chef Lars Klingbeil und lieferte da eine Erklärung, die sich plausibler anhörte als kurz zuvor beim RND. Er sei schlicht genervt gewesen von all den Kommentaren über seine Aussage zu den Panzerlieferungen und habe eben beschlossen, dass es "jetzt mal gut" sei.

Und, anders als Habeck damals, lässt sich Kühnert eine Hintertür. Eine Hintertür, die, so wirkt es in dem Instagram-Video, möglicherweise ein Stück weit aufgeschoben wird von Lars Klingbeil, der mit Kühnert stellenweise ein Gespräch führt, das wie eine Mischung aus Medien-Coaching und kommunikationswissenschaftlichem Proseminar wirkt. Ja, sagt Klingbeil, Twitter sei schon "manchmal sehr toxisch". Er jedoch nutze es weniger zum Senden als viel mehr zum Empfangen. Die Tweets zum Beispiel von Carlo Masala finde er sehr hilfreich, dem Militärexperten von der Universität der Bundeswehr, obwohl der oft weit entfernt sei von den Positionen der SPD. Aber die Kommentare auf Twitter, die hätten mit der Wirklichkeit der Menschen im Land wenig zu tun; die seien nur ein "Brennglas für die Selbstbeschäftigung", der man in der Berliner Politikblase ausgesetzt sei.

Der Rückzug von Twitter "wird jetzt auch keine dauerhafte Entscheidung sein", sagt also Kevin Kühnert am Ende der Passage, hier ab Minute 38:25 etwa. Mal abwarten, wann er wieder rückfällig wird.

Klingbeil hat unter anderem Soziologie studiert. Kühnert mal einige Semester Kommunikationswissenschaft, bevor er das Studium abbrach und im Callcenter anfing. Sicher haben die beiden von dem berühmten Psychologen Paul Watzlawick gehört. Einer von dessen wichtigsten Sätzen war: Man kann nicht nicht kommunizieren.

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