Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Die letzte Großoffensive steht bevor

Lesezeit: 4 min

Von Paul-Anton Krüger

Syriens Präsident Baschar al-Assad hat in diesen Tagen Flugblätter über der Provinz Idlib abwerfen lassen. Darin ruft die Regierung die Bewohner zur Flucht auf. Rebellen sprengten Brücken und legen Befestigungsanlagen an, Gräben und Erdwälle, um den Regierungstruppen den bevorstehenden Vormarsch zu erschweren. Diese verstärkten ihre Luftangriffe und den Granatbeschuss. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis die erwartete Großoffensive des syrischen Regimes auf die letzte Rebellenhochburg beginnt, unterstützt von Russland und von schiitischen Milizen, die unter Kontrolle der iranischen Revolutionsgardisten stehen.

Auch die Folgen eines solchen Angriffs sind absehbar: Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura bot an, sich persönlich nach Idlib zu begeben und Zivilisten aus dem Kampfgebiet zu führen. Das Gleiche hatte er schon Ende 2016 vor der Schlacht um Aleppo versucht, vergebens. Er warnt vor einer Katastrophe für die Menschen dort, die Türkei und europäische Regierungen befürchten einen Ansturm von Zivilisten auf die Grenze zur Türkei. In Idlib leben laut UN-Angaben fast drei Millionen Zivilisten, knapp die Hälfte von ihnen ist bereits zuvor aus anderen Gebieten Syriens vertrieben worden. Die humanitäre Lage ist jetzt schon äußerst problematisch.

Die syrische Regierung hat mehr als einmal deutlich gemacht, dass sie in Idlib "bis zum Ende" gehen werde, wie es Außenminister Walid al-Muallem formuliert hat. Auch sein russischer Kollege Sergej Lawrow sprach davon, dass "die Terroristen in Idlib ausgelöscht werden müssen". Russland willigte auf Druck der UN in Verhandlungen über einen humanitären Korridor ein, doch haben sich solche Arrangements in der Vergangenheit als nicht belastbar erwiesen. Syrische Regierungseinheiten nahmen sie ebenso unter Beschuss wie gelegentlich die Rebellen. Meist war der Streit um die Fluchtwege mehr Teil der propagandistischen Auseinandersetzung als ein ernsthafter Versuch, Zivilisten zu schonen.

In Idlib dominiert militärisch die Dschihadisten-Miliz Hayat Tahrir al-Scham, eine Nachfolge-Organisation der Nusra-Front. Sie hat sich zwar offiziell losgesagt vom Terror-Netzwerk al-Qaida, Geheimdienste halten das allerdings für wenig glaubhaft. Die Gruppe verfolge immer noch eine globale dschihadistische Agenda, auch wenn sie ihre Rhetorik geändert habe. De Mistura schätzt ihre Stärke auf 10 000 Mann. Über Jahre hat die syrische Regierung zusammen mit Russland und Iran aus Rebellengebieten Kämpfer verschiedenster Gruppen und Zivilisten nach Idlib gebracht, zuletzt noch Anfang des Jahres nach der Offensive auf Ost-Ghouta.

Bis zu 700 000 Menschen könnten laut UN in die Flucht getrieben werden

Bemühungen der türkischen Regierung, die Gruppe zur Auflösung zu bewegen und so einen Angriff auf Idlib abzuwenden, scheiterten am Wochenende. Ankara erklärte die Gruppe daraufhin zur Terror-Organisation. Neben ihr gibt es weitere islamistische Rebellengruppen, die sich zu einer Allianz gegen Hayat Tahrir al-Scham zusammengeschlossen haben. Sie verfügen zwar über mehr Kämpfer, sind der Kampfkraft der Dschihadisten aber nicht gewachsen. Die Türkei hat im Zuge einer Deeskalations-Vereinbarung mit Russland und Iran Truppen auf Beobachtungsposten in Idlib stationiert und will nun versuchen, bei einem bevorstehenden Gipfeltreffen des sogenannten Astana-Formats der drei Staaten in Teheran zu intervenieren, das für den 7. September geplant ist.

Laut Quellen im syrischen Militär ist vorgesehen, Idlib zunächst von Westen und Süden her anzugreifen. Der Vorstoß werde sich gegen Jisr al-Schughur, Khan Schaikhun und Maarat al-Numan richten. Das Ziel des Regimes ist, zunächst die wichtigen Verbindungsstraßen von Latakia und Hama nach Aleppo wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Die UN rechnen damit, dass bis zu 700 000 Menschen dadurch in die Flucht getrieben werden könnten. Zugleich verstärken die Regierungstruppen die Front westlich von Aleppo, um einen Gegenangriff der Rebellen zu verhindern. Sie haben keinen anderen Ort in Syrien mehr, an den sie gehen könnten. Deswegen wird befürchtet, dass die Kämpfe besonders brutal werden und lange anhalten.

Die erwartete Offensive birgt erneut auch das Risiko einer Konfrontation sowohl zwischen den Regionalmächten als auch zwischen Russland und den USA. US-Außenminister Mike Pompeo warnte vor der "Eskalation eines jetzt schon gefährlichen Konflikts". Zuvor hatte der Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, John Bolton, seinem russischen Kollegen Nikolai Patruschew bei einem Treffen Ende August in Genf gedroht, sollte Assad im Zuge der Offensive erneut chemische Waffen einsetzen, werde Washington härter militärisch reagieren als bislang. Er konfrontierte Patruschew mit Erkenntnissen der US-Geheimdienste, dass ein solcher Angriff in Vorbereitung sei.

Russische und syrische Medien verbreiten dagegen Berichte, Rebellen oder die Zivilschutzorganisation Weißhelme bereiteten in Zusammenarbeit mit britischen Spezialeinheiten eine Täuschungsaktion vor, um eine Militärintervention der USA herbeizuführen. Russland hält bis 8. September ein Marine-Manöver mit mehr als 25 Kriegsschiffen und 30 Kampfflugzeugen im Mittelmeer vor Syrien ab und wirft den USA und Großbritannien vor, in Vorbereitung eines Angriffs bereits mit Marschflugkörpern bestückte Zerstörer und U-Boote in der Region zusammenzuziehen.

Auch die Spannungen mit Israel steigen nach einer Phase relativer Ruhe wieder: In der Nacht zum Sonntag kam es am Militärflugplatz Mezzeh in Damaskus zu schweren Explosionen. Während die amtliche Nachrichtenagentur Sanaa nach Stunden des Schweigens einen Kurzschluss als Ursache nannte, vermuten Bewohner der Stadt und auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte israelische Luftangriffe mit fünf Raketen. Angeblich wurde ein Munitionslager getroffen. Israel kommentierte die Berichte wie üblich nicht, hat aber gedroht, militärisch zu verhindern, dass Iran fortschrittliche Militärtechnik oder Raketen größerer Reichweite und Präzision in Syrien stationiert.

Sowohl Israel als auch die USA fordern einen Abzug aller iranischen Einheiten aus Syrien und haben dem Kreml im Gegenzug Entgegenkommen bei einer politischen Lösung des Krieges nach seinen Wünschen signalisiert. Dem sind Syrien und Iran in der vergangenen Woche entgegengetreten, indem sie den Verbleib iranischer Einheiten in Syrien und Hilfe beim Wiederaufbau der syrischen Armee vereinbarten. Die Verteidigungsminister der beiden Länder unterzeichneten vergangene Woche in Damaskus einen Vertrag, der militärische und technische Zusammenarbeit vorsieht.

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SZ vom 03.09.2018
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