Süddeutsche Zeitung

Westbalkan:Lage im Kosovo wieder ruhig

Lesezeit: 2 min

Nach Auseinandersetzungen im Norden des Kosovo hatte Serbien seine Armee in Bereitschaft versetzt, der Verteidigungsminister spricht von "Terror gegen die serbische Gemeinschaft". Der Kosovo macht Belgrad für die Zusammenstöße verantwortlich.

Nach den Ausschreitungen im Norden des Kosovo am Freitag hat sich die Lage am Samstagmorgen beruhigt. Dies berichteten kosovarische und serbische Medien.

Nach Zusammenstößen in einer mehrheitlich von Serben bewohnten Stadt hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić die Armee seines Landes in Bereitschaft versetzt. Zudem sollten Truppen näher an die Grenze zum Kosovo verlegt werden. Der serbische Verteidigungsminister Miloš Vučević sprach im Fernsehen von einer dringenden Maßnahme und sagte: "Es ist klar, dass Terror gegen die serbische Gemeinschaft im Kosovo verübt wird."

Die kosovarische Polizei in Zvečan hatte zuvor Tränengas gegen eine Menschenmenge eingesetzt, die den Einzug eines neuen, kosovo-albanischen Bürgermeisters verhindern wollten. Die Polizei berichtete von fünf verletzten Beamten, örtliche serbische Gesundheitsbehörden von zehn leichtverletzten Personen.

In vier nördlichen Gemeinden des Kosovo, darunter auch Zvečan, leben etwa 50 000 Serben. Sie boykottierten die Kommunalwahl am 23. April - die Beteiligung lag bei 3,5 Prozent - und weigern sich, mit den neuen, vier albanischen Bürgermeistern zusammenzuarbeiten. Die Führung in der Hauptstadt Pristina machte für die Unruhen am Freitag Belgrad verantwortlich. "Die illegalen und kriminellen Strukturen Serbiens im Nord-Kosovo erhielten die Order, die Lage vor Ort zu eskalieren", schrieb Blerim Vela, der Stabschef der kosovarischen Präsidentin Vjosa Osmani, auf Twitter.

US-Außenminister Antony Blinken verurteilte den Versuch der Behörden im Kosovo, gewaltsam einen Zugang zu den Amtsgebäuden zu schaffen. Dieses Vorgehen sei gegen die Ratschläge der USA und Europas erfolgt, habe die Spannungen "drastisch und unnötig" verschärft und werde "Auswirkungen auf unsere bilateralen Beziehungen zum Kosovo haben".

Immer wieder gibt es Spannungen mit der serbischen Minderheit im Norden Kosovos. Der Kosovo erklärte sich 2008 für unabhängig von Serbien. Allerdings erkannte die Regierung in Belgrad die Unabhängigkeit nicht an. Auch die im Kosovo lebenden Serben sehen sich als Teil des Nachbarlandes. Der anhaltende Streit zwischen der früheren jugoslawischen Teilrepublik Serbien und dessen ehemaliger Provinz Kosovo ist ein Hindernis auf dem Weg beider Staaten in die Europäische Union. In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und die USA eine Zurückhaltung von allen Parteien und eine Deeskalation der Lage, wie das Auswärtige Amt mitteilte.

Serbiens Präsident Vučić zieht sich von Parteivorsitz zurück

Der serbische Präsident Vučić kündigte unterdessen seinen Rückzug vom Vorsitz seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) an. "Dies ist der letzte Abend, an dem ich als Vorsitzender der SNS zu Ihnen spreche", sagte er am Freitag auf einer Großkundgebung der nationalistischen Präsidentenpartei in Belgrad. Am Samstag hält die SNS einen Parteitag ab. Wer ihm als Nachfolger an der Spitze der Partei folgen soll, gab Vučić nicht bekannt. Der Präsident bestimmt seit 2012 in verschiedenen Funktionen die Geschicke des Landes. Kritiker werfen ihm einen autoritären Regierungsstil vor. Sein Rückzug von der SNS-Spitze hat insofern kaum Bedeutung. Vučić und seine Gefolgsleute kontrollieren die meisten Medien, die Justiz und einen Teil der Wirtschaft.

Zwei Amokläufe mit 18 Toten hatten jedoch zu Monatsbeginn die serbische Gesellschaft erschüttert. Vučić-Gegner stellten bei Protesten die Frage nach der Verantwortung und forderten Konsequenzen. Die Oppositionellen verwiesen auf die aggressive Rhetorik des Präsidenten gegenüber politischen Gegnern sowie auf Boulevard-Medien, die ihrer Ansicht nach die Gewalt von Kriminellen verharmlosen und zugleich Vučić eine Bühne geben.

Dieser legte wegen der Proteste zuletzt sichtliche Nervosität an den Tag. Die Großkundgebung in Belgrad hatte er organisieren lassen, um die Stabilität seiner Macht zu demonstrieren. Busse aus ganz Serbien, aber auch aus Nachbarländern mit serbischer Bevölkerung brachten die Teilnehmer in die Hauptstadt. Medien berichteten über Druck auf Staatsbedienstete, auch gegen ihren Willen nach Belgrad mitzufahren. Vučić hatte die Kundgebung im Vorfeld als "größte Volksversammlung in der Geschichte Serbiens" bezeichnet und mindestens 140 000 Teilnehmer in Aussicht gestellt. Nach Beobachtungen eines dpa-Reporters und unabhängiger serbischer Medien waren einige Zehntausend zur Veranstaltung gekommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5884299
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/rtr/dta
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.