Süddeutsche Zeitung

Korruptionsaffäre in der Türkei:Der Premier, sein Sohn und die Millionen

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Mitschnitte angeblicher Telefonate rücken den türkischen Premier Erdoğan in die Nähe illegaler Geldgeschäfte. Der Beschuldigte spricht von einer Verschwörung und lässt gegen Demonstranten Tränengas einsetzen. Doch wer hat die Audio-Aufnahmen gemacht?

Von Christiane Schlötzer

Die Stimme klingt wie die von Recep Tayyip Erdoğan. Es ist offenbar früh am Morgen, der Premier weckt seinen Sohn Bilal. So jedenfalls wirkt es, wenn man den angeblichen Telefongesprächen zwischen den beiden im Internet lauscht.

Das haben in 24 Stunden bis zum Dienstagabend bereits etwa zwei Millionen Türken getan. Sie hörten, wie angeblich Erdoğan in fünf Telefonaten seinen Sohn auffordert, Geld aus dem Haus zu schaffen und vor Korruptionsermittlerin in Sicherheit zu bringen. "Wir haben immer noch 30 Millionen übrig", sagt eine Stimme, die Bilal Erdoğan gehören soll. An einer anderen Stelle klagt der Angerufene, dass es schwierig sei, für so viel Geld Platz zu finden.

Stattgefunden haben sollen die Gespräche am 17. und 18. Dezember 2013. Die Daten sind wichtig, denn am 17. Dezember wurden die Korruptionsermittlungen der Istanbuler Staatsanwaltschaft gegen mehrere Ministersöhne, Geschäftsleute aus der Türkei und Iran sowie Politiker bekannt. Bilal Erdoğan gehörte zu den Verdächtigen in der Affäre.

Noch in der Nacht zum Dienstag hat das Büro des Premiers erklärt, die Mitschnitte seien eine "schamlose Montage", "falsch" und Teil eines "Komplotts". Am Mittag tritt Erdoğan dann in der Fraktionssitzung seiner Regierungspartei AKP auf, CNN-Türk überträgt live. Erdoğan spricht von einem "widerwärtigen und hinterhältigen Angriff". Die Ereignisse vom 17. Dezember nennt er gar einen "Putsch", der misslungen sei. Die Echtheit der Mitschnitte bestreitet er entschieden. Die Urheber der "Konspiration" würden die Rechnung erhalten.

Erdoğan schleudert seine Pfeile in viele Richtungen, er wettert gegen eine "Zinslobby", eine "Medienlobby", eine "internationale Lobby" und "die Anarchie auf den Straßen". Immer wieder wird seine Rede von Sprechchören aus dem vollen Saal unterbrochen: "Die Nation ist stolz auf dich."

Die Opposition hält die Audio-Aufnahmen für echt

Die Istanbuler Korruptionsermittler - sie wurden inzwischen alle von der Regierung abgelöst - haben zahlreiche Verdächtige über Monate hinweg abhören lassen. Vor der AKP beklagt sich Erdoğan auch darüber, dass selbst "verschlüsselte Telefonate" in Ankara nicht sicher seien, "nicht einmal die Intimität der Familie" sei gewahrt.

Kemal Kılıçdaroğlu, der Chef der größten Oppositionspartei, der CHP, wertet dies als "Eingeständnis". Die CHP hält die Aufnahmen ohnehin für echt. Sie hat Erdoğan zum Rücktritt aufgefordert. CHP-Vize Haluk Koç sagte schon am Montagabend, die AKP-Regierung habe "von jetzt an" ihre Legitimität verloren, die Türkei könne mit diesem "Schmutz" nicht weitermachen. Der Chef der nationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, wirft Erdoğan vor, er beschütze "Kriminelle".

Jüngst waren bereits mehrere angebliche Erdoğan-Telefonate im Internet aufgetaucht, und alle wurden zu Youtube-Hits. Nicht immer hat der Premier die Echtheit der Aufnahmen bestritten.

So hat Erdoğan eingeräumt, sich mit einem Anruf in die Programmgestaltung des TV-Senders Habertürk eingemischt zu haben. Dabei ging es um die Gezi-Proteste im vergangenen Sommer. Bei Fatih Saraç, dem Geschäftsführer des Medienkonglomerats, zu dem Habertürk gehört, beschwerte sich Erdoğan in dem Telefonat über eine Nachricht, die ihm nicht passte, mit den Worten: "Du sagst, 'ich habe verstanden', aber warum zum Donnerwetter sind die Sachen immer noch da?"

"Erdoğan ein Dieb" und "Regierung tritt ab" riefen mehrere Hundert meist junge Demonstranten am Dienstag an der Technischen Universität Ankara. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Protestierenden vor.

Verbreitet wurden die Tonaufnahmen zuerst von einem Twitterer mit dem Kunstnamen Haramzadeler (die Sündhaften). Unter diesem Account sind seit ein paar Wochen immer wieder Dokumente zu aktuellen Korruptionsfällen zu finden. Deren offenbar sprudelnde Quelle ist bislang ebenso wenig bekannt wie der geheimnisvolle Twitterer.

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Quelle:
SZ vom 26.02.2014
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