Süddeutsche Zeitung

Konflikt mit der Türkei:Erdoğan erzürnt Berlin mit Akhanlı-Haftbefehl

Lesezeit: 2 min

Von Constanze von Bullion und Antonie Rietzschel, Berlin

Nach der Festnahme des Schriftstellers Doğan Akhanlı und neuerlichen Provokationen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat sich das deutsch-türkische Verhältnis weiter abgekühlt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte am Sonntag Unverständnis über die Verhaftung in Spanien. "Das geht aus meiner Sicht nicht", sagte sie im Sender RTL. "Man darf internationale Organisationen wie Interpol nicht missbrauchen." Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir. "Die Türkei missbraucht die internationale Zusammenarbeit der Polizei für die Verfolgung von Regimekritikern", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Das ist ein Skandal erster Güte."

Auf Betreiben der türkischen Regierung war am Samstag der Schriftsteller Doğan Akhanlı während seines Spanien-Urlaubs festgenommen worden. Akhanlı lebt seit seiner Flucht aus der Türkei in Köln und besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Er schrieb über den Völkermord an den Armeniern und beteiligte sich in Köln an einem Theaterstück, das sich kritisch mit der Regierung Erdoğan auseinandersetzt. Diese wirft ihm Mitgliedschaft in einer bewaffneten, terroristischen Vereinigung vor und erwirkte bei der Internationalen Polizeibehörde Interpol seine Festnahme.

Das deutsche PEN-Zentrum protestierte am Samstag gegen die Verhaftung, deren Gründe politischer Natur seien. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) setzte sich in Madrid dafür ein, Akhanlı nicht an die Türkei auszuliefern. Am Sonntag ließ die spanische Justiz den Schriftsteller frei. Das Auslieferungsverfahren kann aber bis zu 40 Tage dauern. Bis zur Entscheidung darf Akhanlı Spanien nicht verlassen.

Außenminister Gabriel zeigte sich erleichtert über die Freilassung. "Es wäre schlimm, wenn die Türkei auch am anderen Ende Europas erreichen könnte, dass Menschen, die ihre Stimme gegen Präsident Erdoğan erheben, in Haft geraten würden", erklärte er. Ausgestanden aber ist die Sache nicht. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nannte die Vorgänge "Teil einer Säuberungswelle", gegen die Deutschland sich wehren müsse. Auf Kritik stieß auch Erdoğans jüngster Appell an türkischstämmige Deutsche, weder CDU noch SPD oder Grüne zu wählen. Erdoğans Auftreten sei "eine Frechheit", sagte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer in einem ARD-Interview.

Die Türkei könne nicht EU-Vollmitglied werden. Union und SPD vermieden es jedoch, ein Ende des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei zu fordern. Das Vorgehen gegen Akhanlı sei "völlig inakzeptabel", sagte der außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), der SZ. Dennoch sei zu bedenken, dass jede Türkei-Kritik von Erdoğan gegen die EU instrumentalisiert werde. "Deshalb bleibt Besonnenheit der Maßstab für unser Handeln." Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte den Stopp von Waffenlieferungen und Beitrittshilfen an die Türkei. "Schluss mit Reden", sagte er. "Erdoğan hat die Flüchtlinge zu einem Faustpfand seiner rückwärtsgewandten Politik gemacht." Das Flüchtlingsabkommen könne so nicht fortgesetzt werden.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2017
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