Süddeutsche Zeitung

Erderwärmung:Wer den Klimawandel verursacht, soll auch für die Folgen zahlen

Lesezeit: 3 min

Die ärmeren Staaten fordern mehr Finanzhilfen von den Industrieländern. Doch die scheuen konkrete Zusagen - auch Deutschland. Das belastet die Gespräche vor dem Klimagipfel in Glasgow.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es könnte ein freudiges Treffen sein, die erste Verhandlungsrunde seit anderthalb Jahren. So lange haben Klimadiplomaten aus aller Welt sich nicht mehr gesehen, die Pandemie hat es verhindert. Viele der Unterhändler kennen sich seit Jahren, Freundschaften sind entstanden. Doch Diann Black-Layne ist nicht nach Harmonie, als sie sich am Montag zu Wort meldet. Außerdem spricht sie nicht nur für ihre Heimat, den Inselstaat Antigua und Barbuda, sondern auch für die Gruppe der Inselstaaten, Aosis. Und als solche wirft sie gleich mal ein unbequemes Thema auf: das Geld.

Der Frühsommer ist für Klimadiplomaten üblicherweise die Zeit der Vorbereitung. Für zwei Wochen treten sie zusammen - normalerweise in Bonn -, um den nächsten großen Klimagipfel der Vereinten Nationen vorzubereiten. Der soll im November im schottischen Glasgow stattfinden. Diesmal ist die Runde nur virtuell, und als von Surinam bis Samoa die Leitungen stehen, spricht Black-Layne für die Inselstaaten. Den Klimawandel hätten andere verursacht, reichere Staaten, führt sie aus. Und die müssten nun auch für die Folgen der Klimakrise geradestehen. "Reiche Staaten müssen ihren fairen Anteil zahlen." Und wollten die beweisen, dass es ihnen mit dem Pariser Abkommen ernst ist, brauche es nun "angemessene, verlässliche und erreichbare" Finanzmittel, verlangt Black-Layne. Das sei die entscheidende Frage bei den Gesprächen.

So beginnt die erste Verhandlungsrunde seit Langem mit einem Thema, das gerade Industriestaaten nicht so mögen. Zusagen wie Klimaneutralität bis 2050 sind schnell gemacht und kosten erst mal nichts. "Aber was die Staaten wirklich zu geben bereit sind, das ist zählbar", sagt Jan Kowalzig, der sich bei der Hilfsorganisation Oxfam mit der Klimafinanzierung beschäftigt. "Und bisher war es immer zu wenig."

Schon bei der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 waren unter den dürftigen Ergebnissen auch Finanzzusagen. Bis 2020 sollten die reichen Staaten jährlich 100 Milliarden Dollar aufbringen, aus einer "breiten Vielfalt von Quellen", die sowohl öffentliche als auch private Mittel umfassen sollte. So können etwa Kredite staatlicher Entwicklungsbanken helfen, weit größere private Investitionen anzustoßen. Offen ließ die Vereinbarung nur, ob die 100 Milliarden in allen Jahren bis 2020 fließen sollen, oder ob sie schrittweise dahin aufwachsen.

Auf allen Ebenen versucht das Vereinigte Königreich, feste Finanzzusagen durchzusetzen

Als die Industriestaaten-Gruppe OECD im Winter durchrechnete, wie viel davon tatsächlich floss, kam sie für das Jahr 2018 auf 79 Milliarden Dollar, immerhin acht Milliarden mehr als ein Jahr zuvor. Aber eben weit weniger als die angestrebten 100. Wie viel im Jahr 2020 an Hilfen zusammenkam, etwa für den Ausbau erneuerbarer Energien oder die Vorsorge gegen drohende Klimaschäden, das sei grob schon abschätzbar, sagt Oxfam-Experte Kowalzig. "Und es liegt sehr wahrscheinlich unter den hundert Milliarden." Dabei könnten die Geberländer an dieser Stelle am ehesten beweisen, dass es ihnen ernst ist mit der Solidarität in Zeiten der Klimakrise.

Diesen Beweis könnte auch Großbritanniens Chefdiplomat Alok Sharma gut gebrauchen. Als designierter Präsident soll er den Gipfel in Glasgow zum Erfolg für das Klima machen. Dabei spielt das Geld eine gewichtige Rolle. Denn Begleitbeschlüsse zum Pariser Abkommen schreiben nicht nur die 100 Milliarden Dollar fest, sondern verlangen auch ein neues, höheres Finanzziel für die Zeit nach 2025. Das hält auch Gerd Müller für nötig, der deutsche Entwicklungsminister. "Das Ziel für die Klimafinanzierung muss von weltweit 100 Milliarden Dollar pro Jahr deutlich steigen", sagt der CSU-Mann. Gerade die Ärmsten treffe der Klimawandel hart. "Mehr Menschen als je zuvor sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren haben."

Auf allen Ebenen versucht das Vereinigte Königreich derzeit, feste Finanzzusagen durchzusetzen - auch als Gastgeber des G-7-Gipfels der führenden Industriestaaten, der Ende nächster Woche in Cornwall stattfindet. Entwürfe für die Abschlusserklärung enthalten angeblich schon eine Tabelle dafür. Rückendeckung gibt es von UN-Generalsekretär António Guterres. Im März ließ er an die G-7-Staaten ein informelles Papier verteilen, mit seinen Prioritäten für das Treffen in Cornwall. Punkt 1: Alle sieben und auch andere Industriestaaten müssten sich verpflichten, "ihre öffentliche Klimafinanzierung für 2021 - 2024 durch neue Zusagen zu verdoppeln".

Bisher ist die Resonanz noch mau. Die neue US-Regierung sagte im April immerhin zu, bis 2024 ihre öffentlichen Hilfen zu verdoppeln, verglichen mit den Jahren 2013 bis 2016, der zweiten Amtszeit Barack Obamas. Doch als Angela Merkel sich zuletzt beim Petersberger Klimadialog mit den Milliarden befasste, verkniff sie sich Zusagen. Deutschland habe vier Milliarden Euro versprochen und 2019 sogar 4,3 Milliarden Euro beigesteuert. Rechne man private Mittel dazu, komme man 2020 sogar auf 7,3 Milliarden Euro. "Ich glaube, das ist ein fairer Beitrag Deutschlands", befand die Kanzlerin.

Klimaschützer waren konsterniert, sie hatten eine Verdopplung der Mittel gefordert. "Von einer Erhöhung fehlt jede Spur", sagt Sven Harmeling, Klima-Experte bei Care International. Die Hilfsorganisation hatte sich kürzlich die Klimafinanzpläne von 28 Staaten durchgeschaut, überzeugend war so gut wie keiner. Deutschland, sagt Harmeling, rangiere da gerade mal im oberen Mittelfeld.

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