Süddeutsche Zeitung

Fridays for Future:"Bewegung in einer komplizierten Phase"

Lesezeit: 4 min

Fridays for Future muss seine für anlässlich der Kommunalwahlen in Bayern geplanten Großkundgebungen wegen des Coronavirus aussetzen. Ein kritischer Zeitpunkt, sagt der Protestforscher Moritz Sommer.

Interview von Raphael Markert

Die Klimabewegung "Fridays for Future" hatte für Freitag eigentlich zu landesweiten "Großstreiks" aufgerufen - das Motto: "Kommunalwahl ist Klimawahl". Nun haben die Protestierenden die Kundgebungen wegen der Ausbreitung des Corona-Virus abgesagt. "Fridays for Future" ruft an diesem Freitag vor den bayerischen Kommunalwahlen zu digitalen Streiks auf: Die Protestierenden sollen Fotos von sich mit Demo-Plakaten auf sozialen Netzwerken teilen. Warum die Absagen die Klimabewegung schwer treffen könnte und warum Greta Thunberg unwichtiger für die Proteste wird, erklärt der Politologe und Protestforscher Moritz Sommer, Vorstandsmitglied am Institut für Protest- und Bewegungsforschung und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung.

SZ: Herr Sommer, werden die Folgen des Corona-Virus "Fridays for Future" als eine junge Protestbewegung womöglich nachhaltig verändern?

Moritz Sommer: Es ist sinnvoll, dass Fridays for Future den Empfehlungen der Wissenschaft vertraut und Proteste absagt. Aber natürlich ist die Ausbreitung des Virus und die daraus resultierende Absage der Proteste wie des Großstreiks in Bayern für die Bewegung ein großes Problem. Ob der geplante globale Klimastreik Ende April stattfinden kann, ist auch mehr als ungewiss. Die großen Proteste sind nach wie vor der Kern der Bewegung. Absagen wirken demotivierend, ja demobilisierend - und könnten auch zu einem finanziellen Problem werden. Die Streiks sind ja nicht nur für Aktivisten und Medien, sondern auch für Spendenaktionen ein zentraler Punkt. Es muss sich zeigen, inwieweit die Proteste auf einem anderen Kanal Erfolg haben werden. Ich bin skeptisch, ob die digitalen Streiks ernsthaften Einfluss haben werden.

Sie zeichnen ein aus Sicht der Bewegung sehr düsteres Bild.

Die Entwicklungen aktuell um das Coronavirus sind ja insgesamt düster und machen vor "Fridays for Future" keinen Halt. Generell befindet sich Bewegung in einer komplizierten Phase. Da kommt Corona zur Unzeit.

Medienberichte aus den vergangenen Monaten deuteten auf sinkende Teilnehmerzahlen hin. Ist es vorbei mit der Strahlkraft, die die Bewegung anfangs hatte?

"Fridays for Future" hat mit seiner außergewöhnlichen Mobilisierung eine Erfolgsgeschichte geschrieben, wie sie keineswegs normal war. Da ist es erstmal vollkommen logisch, dass die Teilnehmerzahl zurückgeht. Das ist noch nicht als Abgesang der Bewegung zu interpretieren. Aber es zeigt sich, dass sich die Bewegung in einer Findungsphase mit ungewissem Ausgang befindet. "Fridays for Future" hat in den vergangenen Monaten einiges ausprobiert: In Berlin mit der Idee, in die Kieze zu gehen, lokale Projekte anzustoßen, auf der Bundesebene auch mit dem Versuch, die Verantwortung der Wirtschaft in den Fokus zu rücken, wie sich bei den Protesten gegen Siemens gezeigt hat, oder der nach hinten losgegangenen Idee, ein Event im Berliner Olympiastadion zu forcieren. Jetzt also die Digitalstreiks. Das alles ist der Versuch, sich von den etwas abgenutzten Klimastreiks zu lösen, die aber trotzdem weiterhin das Kernelement der Bewegung bleiben werden.

Sie waren an einer der weltweit größten Studien zu der Bewegung beteiligt. Die jüngste Aktualisierung der Studie legt nahe, dass Greta Thunberg für die Protestierenden an Bedeutung verliert.

Das ist erstmal gar nicht so negativ zu bewerten. Im März 2019 haben in unserer Studie noch viele Protestler angegeben, dass sie sich durch Greta bestärkt fühlen, demonstrieren zu gehen. Dass bei dieser Aussage die Zustimmungswerte sinken, hat damit zu tun, dass sich die Bewegung etabliert hat und dadurch der Einfluss von Einzelpersonen wie Greta Thunberg sinkt.

Birgt das Chancen für die Bewegung?

Ja, wenn sich die Bewegung stärker aus eigenem Antrieb speist als nur durch Personen mit großer Strahlkraft, ist das ein positives Zeichen. Es geht der Bewegung weiterhin zuallererst darum, die Politik unter Druck zu setzen, Versprechen im Klimaschutz einzuhalten. Überraschenderweise ist das allgemeine Vertrauen der Protestierenden in die Politik nach wie vor relativ groß, aber wir sehen, dass ihre Hoffnung, dass politische Entscheidungen das Klima beeinflussen können, sinkt. Gefühle wie Wut und Frustration nehmen zu. Wenn nicht auf der Vertrauens-, dann zeigt sich zumindest auf der Emotionsebene ein Anzeichen für eine Entfremdung der Bewegung von etablierter Politik.

Die meisten Demonstrationen in Deutschland werden überwiegend von Männern besucht. Bei Klima-Demos war es lange Zeit genau andersherum, zudem waren die Demonstranten überraschend jung. Nun wird auch diese Bewegung männlicher und älter. Ist "Fridays for Future" nun eine Protestbewegung wie jede andere auch?

So weit würde ich nicht gehen. Sie haben Recht: Der Anteil der Frauen ist zurückgegangen. Im März 2019 war er noch außerordentlich hoch, aber dass sich das normalisiert, war zu erwarten. Und das nun höhere Durchschnittsalter ist auch als Zeichen höherer Akzeptanz und Mobilisierung in allen möglichen Bevölkerungsschichten zu verstehen.

Ist es zu erwarten, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung der Bewegung nun mehr um Inhalte der Bewegung gehen wird? Am Anfang war die Debatte um das Schulschwänzen omnipräsent.

Diese Kritik wurde am Anfang lanciert von Gegnern der Bewegung aus rechten und konservativen Kreisen, die versucht haben, die Proteste zu diskreditieren. Diese Diskussion ist deutlich zurückgegangen und eben dadurch zu erklären, dass es eine breitere Zustimmung für die Bewegung gibt, sie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wie wird das "Fridays for Future" weiter verändern?

Jetzt gilt es, sich stärker über Inhalte zu profilieren und gleichzeitig die dafür passenden Protestformen zu wählen. Die Protestler müssen sich fragen, welche Allianzen sie dafür schmieden wollen und welche nicht. Das wird eine der zentralen Herausforderungen für die Bewegung. Das Corona-Virus und die damit sinkende öffentliche Wahrnehmung wird dieses Vorhaben in den nächsten Wochen deutlich erschweren.

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