Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Klaus Kinkel:Ein rechtschaffener Mann

Lesezeit: 4 min

Er galt als Prototyp des politischen Könners: Klaus Kinkel war als Mensch wie als Minister herrlich zupackend, ebenso empfindsam wie geradeheraus. Ein Nachruf auf einen großen Liberalen.

Von Heribert Prantl

Er sah so unglaublich gesund aus, noch mit achtzig. So sportlich, so zupackend, so energisch. Ihn "rüstig" zu nennen, wäre eine Beleidigung gewesen. Er war nicht rüstig, er war ein Ausbund an Aktivität, er strahlte noch lange nach seinem Ausscheiden aus der Politik eine Energie aus, wie sie viele Politiker zu ihren aktiven Zeiten nicht haben. Er war Sportler, er war Tennisspieler; er rannte mit seinem Hund um die Wette. Er lief vor nichts davon, er war zufrieden mit sich und dem, was er geschafft hatte. Er war - man hörte es und er war stolz darauf - ein Schwabe, ein tapferer Schwabe. Kinkel wurde 1936 in Metzingen geboren, am selben Dezembertag, an dem in Buenos Aires Papst Franziskus als Jorge Mario Bergoglio zur Welt kam.

Wenn er von alledem sprach, was "der Kinkel" so tat und tut (er sprach von sich gern in der dritten Person), dann gab er einem einen herzhaft kräftigen Puffer in die Seite und rief: "Mensch, Mensch, das waren Zeiten." So war er auch als Minister gewesen: herrlich tatkräftig, unglaublich jovial und herzlich zugewandt. Nur an seine paar Jahre als FDP-Vorsitzender, von 1993 bis 1995, an die erinnerte er sich nicht so gerne. Da stand "der Kinkel" auf verlorenem Posten in seiner Partei, die damals ein gewaltiger Intrigantenstadel war. Da biss er nicht auf Granit, sondern auf Heuchelei. Und damit kam der geradlinige, liebenswürdig polternde Kinkel nicht zurecht; er war eine ehrliche Haut - er konnte hart und laut sein, aber auch sehr empfindsam. Bei den Attacken aus der eigenen Partei schob er zwar anfangs noch kampfeslustig das Kinn vor, wie er es gern tat, wenn er in den Ärmelaufkrempel-und-Zupacken-Modus ging. Aber den liberalen Tricks und Finten war er nicht gewachsen; da hätte er von Helmut Kohl lernen müssen, mit dem ihn eine innige Freundschaft verband.

Klaus Kinkel war einer der wenigen Spitzenbeamten in Deutschland, die in der Politik ganz nach oben gekommen sind. Der spätere FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher, seinerzeit Bundesinnenminister, entdeckte 1970 den damals 33-jährigen Juristen Kinkel (der ursprünglich wie sein Vater Mediziner hatte werden wollen) und machte ihn zu seinem persönlichen Referenten; 1974 ernannte er ihn zum Chef des Ministerbüros. Als Genscher ins Auswärtige Amt wechselte, nahm er Kinkel mit, übertrug ihm dort die Leitung des Planungsstabes. Von nun an ging es weiter bergauf: 1979 wurde Kinkel als erster Zivilist nach den Generalen Gehlen und Wessel Chef des Bundesnachrichtendienstes in Pullach. Er brachte wieder Ruhe in den Verein, der durch Pannen und zwielichtige Aktionen in Misskredit geraten war.

Als Kinkel 1982 nach Bonn zurückkehrte, machte er sich dort unentbehrlich. Sein Amtszimmer als Justizstaatssekretär baute er aus zur Schaltstelle für den Betrieb der CDU/CSU-FDP-Koalition. Er trat immer dann in Aktion, wenn es dort zu krachen begann: Manchmal vorsichtig, manchmal hemdsärmelig, zumeist so, als platze er schier vor Kraft. Er galt als Prototyp des politischen Könners. Auch wenn man es ihm nicht ansah, war er durchaus sensibel: Bei den letzten Hungerstreiks der inhaftierten RAF-Terroristen wurde er in die Gefängnisse geschickt und entwickelte eine neue Linie im Umgang mit ausstiegswilligen Terroristen.

Kampfansage an das Intrigantentum der FDP

Kurz bevor Kinkel Justizminister wurde (was er als Staatssekretär unter dem gesundheitlich angeschlagenen Amtsinhaber Engelhard eigentlich schon war), trat er der FDP bei. Er war ein Liberaler im Herzen und blieb es - auch in der FDP. Während eines Interviews in dieser Zeit ging er auf eine Frage hin in seinem Ministerzimmer zehn Meter weiter zu seinem Schreibtisch, kramte in einer Schublade und holte das geltende FDP-Programm heraus: "Sie verstehen, da muss ich erst mal nachlesen." Er fremdelte ein wenig mit der gebeutelten Partei, deren Vorsitzender er dann werden sollte. Die Freidemokraten, die ihn am Anfang als Heilsbringer feierten, wussten zwar von Anfang an, dass Kinkel nicht der Mann war, der liberale Programme entwickelt. Kinkels Programm bestand in etwas anderem: in einer Kampfansage an das Intrigantentum in der Partei. Neuer Stil, neuer Umgang, Ehrlichkeit, Vertrauen, Zusammenhalten - das waren seine wichtigsten Worte von Anfang an. Aber er kam nicht recht an damit, hier setzte er sich nicht durch.

Nach Genschers überraschendem Rücktritt als Außenminister 1992 wurde dessen einstiger Meisterschüler Kinkel dessen Nachfolger. Er versuchte seinen Lehrmeister bei dem Versuch globaler Omnipräsenz noch zu überbieten, pflegte aber nicht die vorsichtige Diplomatensprache Genschers, sondern ein schnörkelloses, direktes Deutsch. Er kreierte den "kritischen Dialog" mit Staaten wie China und Iran, den Menschenrechtsorganisationen aber als viel zu unkritisch kritisierten. Gelegentlich sehnte sich Kinkel, der als Außenminister ein wenig im großen Schatten Kohls stand, zurück ins Justizministerium, das einen so begeisterungsfähigen Wühler wie ihn nicht mehr erlebt hat. 2002 zog er sich aus der Politik zurück, wurde Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung.

Seine herzhafte Art war den Berufsdiplomaten ein wenig zu rabauzig. Aber das Rabauzige täuschte; Kinkel war eben nicht gelackt und poliert, er war ein ehrlicher, aufgeräumter Mensch. In der Türkei forderte er unverblümt die Respektierung der Menschenrechte, in China versuchte er die "Politik der ausgestreckten Hand". In Interviews konnte er sehr deutlich werden: "Stoiber geht mir auf den Geist", sagte er damals im SZ-Gespräch über dessen Nörgelei gegen Europa.

In den letzten Jahren äußerte er sich kaum noch, weil er kein "Weltklugscheißer" sein wollte. Aber im kleinen Kreis und vertraulich konnte er schon deutlich werden - und puffte einem zur Bekräftigung in die Seite. Nach kurzer und schwerer Krankheit ist Klaus Kinkel am 4. März in Sankt Augustin bei Bonn gestorben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4355260
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.