Süddeutsche Zeitung

Kaufprämien:Scheuers Forderung ist abenteuerlich

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Der Vorschlag des Verkehrsministers, mit Rettungsmilliarden den Verbrennungsmotor zu stützen, ist kaum zu erklären. Dieser zögert den ökologischen Wandel nur hinaus.

Kommentar von Markus Balser

Die Milliarden saßen in den vergangenen Monaten ganz schön locker. Die Wirtschaftskrise war so dramatisch, dass bei den Hilfen kaum noch jemand mitzählte. 750 Milliarden Euro stellte allein die EU als Aufbauprogramm bereit. 130 Milliarden Euro packte die Bundesregierung obendrauf. Was kümmert da schon die eine oder andere Milliarde mehr? So lautete wohl das Kalkül von Andreas Scheuer, als er am Dienstag vehement zusätzliche Kaufanreize für Diesel und Benziner forderte. Entwaffnend ehrliche Begründung des CSU-Verkehrsministers ganz im Sinne der Autoindustrie: "Die müssen vom Hof."

Der erstaunliche Vorstoß von Scheuer, Steuerzahler für den Abverkauf von Ladenhütern der Autobranche aufkommen zu lassen, macht eines der großen Versäumnisse der Rettungsversuche deutlich. Die Politik muss dringend die großen Linien ihrer Hilfsmaßnahmen definieren. Sie muss beschreiben, was genau sie da eigentlich aufbauen und retten will. Und wie eine erfolgreiche Wirtschaft nach der Krise aussehen könnte. Die ehrliche Antwort würde heißen: anders als heute.

Für die Bundesregierung ist dieser Umbau fraglos eine gewaltige Herausforderung. Sie muss Bürger und Unternehmen in der Gegenwart unterstützen und schützen und helfen, kurzfristige Einbrüche zu überbrücken. Andernfalls kollabierten eigentlich gesunde Unternehmen. Der Schaden wäre groß.

Sie muss gleichzeitig aber auch die Skizze einer erfolgreichen Wirtschaft entwerfen, die gegen die großen Herausforderungen - etwa Klimawandel und Digitalisierung - bestehen kann. Das Land hat einiges nachzuholen. Dringend nötig ist etwa der lückenlose Ausbau der digitalen Hochgeschwindigkeitsnetze. Die deutsche Wirtschaft wird auf den Weltmärkten nur erfolgreich sein können, wenn sie digitaler, innovativer und grüner wird als heute.

Die Autobranche ist ein gutes Beispiel dafür, wie gefährlich es sein kann, den Umbau zu verzögern und zu lange an etablierten Geschäftsmodellen festzuhalten. Der Autobauer Tesla aus den USA macht vor, wie schnell neue Anbieter Schwächen der anderen für sich nutzen können. Elon Musks Firma hat die deutschen Hersteller mit einem elektrischen und digital voll vernetzten Angebot an der Börse innerhalb weniger Jahre überholt. Das einstige Start-up ist trotz des jüngsten Kurseinbruchs inzwischen deutlich mehr wert als Volkswagen.

Gerade die Autoindustrie ist gewarnt. Sie müsste den Wandel jetzt noch entschlossener vorantreiben, um den Rückstand aufzuholen. Dass ausgerechnet der Verkehrsminister dafür plädiert, mit Rettungsmilliarden den gegenteiligen Weg einzuschlagen und das alte Geschäft mit Verbrennungsmotoren zu stützen, ist kaum zu erklären. Denn die von ihm favorisierten Kaufprämien zögern den ökologischen Wandel nicht nur hinaus. Sie belohnen letztlich Konzerne, die weniger innovativ und mutig sind als ihre Konkurrenten. Und sie entfachen mithilfe von Steuergeld ein Strohfeuer. Die Unternehmen verkaufen mit Kaufprämien nicht mehr Autos. Die Deutschen zögen ihren Konsum nur vor.

Es spricht vieles dafür, der Industrie beim Wandel zu helfen. Auch den Hunderttausenden Beschäftigten der Autobranche. Wer aber Geschäftsmodelle ohne langfristige Perspektive konserviert, macht den Strukturwandel in der Zukunft nur noch schmerzhafter.

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SZ vom 10.09.2020
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