Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Missbrauchsbetroffene rufen Politik zu Hilfe

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Wer in der Kirche sexualisierte Gewalt erlitten hat, wird immer noch nicht nach akzeptablen Kriterien entschädigt, klagen Opfervertreter. In einem offenen Brief prangern sie das Wegschauen an.

Von Annette Zoch, München

Betroffene sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche haben sich mit einem Hilferuf an die Politik gewandt. In einem offenen Brief, der am Mittwoch veröffentlicht werden soll und vorab der Süddeutschen Zeitung vorliegt, kritisieren mehrere Vertreter des Aktionsbündnisses Betroffeneninitiativen vor allem das Verfahren zur Zahlung von Anerkennungsleistungen durch die katholische Kirche.

Die Verfasser fordern eine staatliche Aufsicht über die Unabhängige Kommission (UKA), die neuerdings über die Zuerkennung und die Höhe der Leistungen entscheidet. Die Regelung der Entschädigungen müsse von einer neutralen staatlichen Ombudsstelle im Konfliktfall überprüft und in einer unabhängigen Gerichtsbarkeit geklärt werden. Betroffenen müsse zudem ein Recht auf Vernetzung und Selbstorganisation in Form eines finanzierten Dachverbandes zugesprochen werden, fordern die insgesamt 24 Unterzeichnenden. Unter ihnen sind Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Jens Windel von der Betroffeneninitiative Hildesheim, die beiden ehemaligen Kölner Betroffenenbeiräte Patrick Bauer und Karl Hauke und die Münchner Betroffene Agnes Wich.

Das jetzige Verfahren besteht erst seit Januar, die Bischöfe hatten sich im September 2020 auf deutlich höhere Anerkennungsleistungen geeinigt. Bis dahin hatte die Bischofskonferenz in der Regel bis zu 5000 Euro pro Fall empfohlen. Über die neuen Beträge entscheidet nun die UKA, ein Gremium aus externen Fachleuten, das unabhängig von den Bischöfen arbeitet. Es solle sich an Urteilen staatlicher Gerichte orientieren, was Summen von bis zu 50 000 Euro bedeuten würde, hatten die Bischöfe gesagt.

Fünfstellige Summen kommen kaum vor

"Das ist vollkommen falsch", schreiben die Betroffenen. "Denn noch nie hatte ein Gericht über so ungeheuerliche Verbrechen überhaupt und zudem begangen von Priestern zu urteilen gehabt." In der Realität würde das UKA fünfstellige Summen kaum bewilligen. Das Antragsverfahren sei zudem geheim: Die Opfer würden weder angehört noch hätten sie Einblick in die Akten, um zu erfahren, nach welchen Kriterien die UKA entscheidet. "Die sehr unterschiedlichen Zahlungen bleiben für jeden einzelnen nicht nachvollziehbar."

Bereits im Juni hatten Jens Windel und Patrick Bauer die Bischöfe aufgefordert, das Anerkennungsverfahren zu stoppen. Nun wenden sich die Betroffenen direkt an den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin und die Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen.

Sie seien gezwungen, den Weg der Anerkennungsleistung zu beschreiten, weil sie zivilrechtlich schon an der ersten Hürde - der Verjährung - scheitern würden, argumentieren die Betroffenen. Genau das empfinden sie nun als Hohn: Jahrzehntelang habe sich die Kirche nicht an weltliches Recht gehalten und die Menschenwürde mit Füßen getreten- nun nähme sie aber mit Blick auf Verjährungsfristen weltliches Recht in Anspruch.

Die katholische Kirche habe als Körperschaft des öffentlichen Rechts jahrelang nicht die von ihr verlangte Gewähr geboten, das geltende staatliche Recht zu beachten, schreiben die Betroffenen. "Durch das systematische Hinwegschauen durch Kirche und Politik, in der Missachtung des Grundgesetzes und des Kanonischen Rechts, liegt eine hohe Schuld in derer Verantwortung an uns ehemaligen Kindern."

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