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Kanaren:Bürgerwehren rufen zur "Jagd auf Araber" auf

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Hilfsorganisationen auf Gran Canaria berichten von gewaltsamen Übergriffen auf Migranten. Besonders in den Armenvierteln von Las Palmas bricht sich der Ausländerhass Bahn.

Von Karin Janker, Madrid

Auf den Kanaren brodelt eine gefährliche Mischung aus Perspektivlosigkeit und Ausländerhass: Bei mehreren Vorfällen sind in der vergangenen Woche mit Stöcken und Steinen bewaffnete Menschen auf Gran Canaria auf maghrebinische Einwanderer losgegangen. Die lokale Hilfsorganisation Cruz Blanca berichtet von mindestens sieben Übergriffen allein in der Nähe einer ehemaligen Schule in Las Palmas, der Hauptstadt Gran Canarias. In dem leerstehenden Gebäude sind Migranten untergebracht, die in den vergangenen Monaten mit Booten auf den Kanaren angekommen sind.

Die Gewalt entlud sich Medienberichten zufolge, nachdem ein Marokkaner einen Einwohner des Viertels Las Rehoyas mit einem Messer angegriffen haben soll. Danach riefen Rechtsextreme in sozialen Medien zur "Jagd auf Araber" auf. Einige Bewohner von Las Palmas haben sich demnach in "Bürgerwehren" organisiert. "Mauren raus" steht an einer Hauswand in Las Rehoyas. In dem Stadtteil von Las Palmas leben vor allem sozial benachteiligte Menschen. Am Wochenende wurde dort zu Demonstrationen aufgerufen, es versammelten sich etwa hundert Menschen. "An diesem Wochenende muss das Viertel in den Krieg ziehen, um seine Kinder zu verteidigen", hieß es im Protest-Aufruf.

"Rechtsextreme Gruppen im Netz verbreiten Falschmeldungen, sie reden den Menschen ein, dass die Migranten ihre Feinde sind", sagt Gran Canarias Regierungschef Antonio Morales. Seine Insel war im Herbst in den Schlagzeilen, weil binnen kurzer Zeit so viele Bootsflüchtlinge angekommen sind, dass Hilfsorganisationen sie nicht mehr angemessen versorgen konnten.

Insgesamt landeten im Vorjahr 23 000 Bootsflüchtlinge auf den Kanaren. Es sind vor allem junge Männer aus Ländern, die die Folgen der Pandemie besonders heftig treffen, aus Marokko und Algerien etwa. Die meisten von ihnen wollen eigentlich weiterreisen, aufs spanische Festland oder nach Frankreich. Nun sind sie auf den Kanaren gestrandet: Nach der Ankunft werden sie in eines der Erstaufnahmelager gebracht, die die spanische Regierung im Dezember eilends errichtet hat. Doch nach 72 Stunden können sie die Zeltstädte verlassen. Und dann?

Eine Zeitung nennt die Kanaren "ein Pulverfass"

Viele schlagen sich nach Las Palmas durch, sagt Morales. "Viele Migranten landen dann auf der Straße, sie schlafen in irgendeiner Ecke, holen sich Essen von den NGOs." So komme es zu Aggressionen zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Die Regierung der Kanaren fordert dringend mehr Unterstützung von der Zentralregierung in Madrid. "Wir brauchen Unterbringungsmöglichkeiten, damit diese Menschen nicht auf der Straße schlafen müssen, wir brauchen aber auch Abkommen mit den Herkunftsländern für eine sichere Rückführung", so der linke Politiker.

Von einer "verfahrenen Situation" spricht die lokale Onlinezeitung El Diario, von einem "Pulverfass" die in Madrid ansässige El País. Ausweglos und explosiv ist vor allem die Gemengelage in den ärmeren Vierteln. Viele Menschen dort leben vom Tourismus, wegen der Corona-Pandemie ist die Wintersaison aber quasi komplett ausgefallen. Nun vermengen sich die ökonomische Krise, rassistische Vorurteile und soziale Probleme. Die Rechtsextremen, die auf den Kanaren traditionell schwach vertreten sind, gewinnen Zulauf.

Präsident Morales sieht die Europäische Union in der Verantwortung. Er fürchtet, dass Europa die Kanaren zu Gefängnisinseln macht: "Das würde den Ausländerhass hier verschlimmern." Ahmed Khalifa vom Verband marokkanischer Einwanderer in Spanien sagt, die Spannungen zwischen Einheimischen und Einwanderern seien absehbar gewesen. "Sie sind eine direkte Folge der Abriegelung der Inseln", so Khalifa.

Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. In den ersten beiden Wochen dieses Jahres landeten wieder zahlreiche Boote auf den Kanaren. 1069 Angekommene verzeichnet das spanische Migrationsministerium, im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur 320 Menschen. Die spanische Regierung hat nun eine diplomatische Offensive in Richtung EU gestartet. In einem Brief an die Kommission fordert sie finanzielle Unterstützung für die maghrebinischen Herkunftsstaaten, die im Gegenzug ihre Grenzen in Richtung Europa strenger kontrollieren sollen.

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