Süddeutsche Zeitung

Wahl in Kanada:Trudeaus Sieg - eine gute Nachricht für den Klimaschutz

Lesezeit: 4 min

Die Begeisterung der Wähler ist weg, aber Justin Trudeau bleibt Kanadas Premierminister. Für den Kampf gegen die Erderhitzung ist dies ungemein wichtig. Fünf Lehren aus einer Denkzettel-Wahl.

Von Matthias Kolb

Geschadet hat die Hilfe des alten Kumpels sicher nicht. Barack Obama verschickte fünf Tage vor dem Wahlabend einen Tweet, in dem der frühere US-Präsident schrieb: Er sei stolz, mit Justin Trudeau zusammengearbeitet zu haben. "Er ist ein hart arbeitender, effektiver Politiker, der sich um große Herausforderungen wie den Klimawandel kümmert." Er hoffe, schrieb der in Kanada äußerst populäre Obama, dass "unsere Nachbarn im Norden" Trudeau eine weitere Amtszeit ermöglichten.

Die "Nachbarn im Norden" haben den Wunsch von Obama - und vielen Progressiven weltweit - erfüllt: Die Liberalen von Premierminister Justin Trudeau sind die Sieger der Parlamentswahl in Kanada. Allerdings verliert Trudeaus Partei, die links der Mitte steht und eine sozialdemokratische Politik macht, ihre absolute Mehrheit. Die Kanadier wählen in 338 Wahlkreisen ihre Abgeordneten, 170 Sitze sind also nötig für die Mehrheit. Trudeaus Partei kommt auf 157 Sitze, die Konservativen auf 121, der erstarkte Bloc Québecois auf 32 und die linkszentristische NDP auf 24 Mandate. Die Grünen erhalten demnach drei Sitze.

Dies sind fünf wichtigsten Lehren aus der Parlamentswahl in Kanada:

Justin Trudeau muss Vertrauen zurückgewinnen

Der 47-Jährige wurde nach seinem sensationellen Wahlsieg 2015 zum globalen Polit-Superstar. Doch zu Hause wuchsen die Zweifel: Der Politneuling hatte anfangs viel zu viele Versprechen gemacht als er halten konnte. Der selbsternannte "Feminist" hatte mehrere Skandale: Es gab peinliche Bilder von einer Indien-Reise, Trudeau drängte eine unangenehme Justizministerin aus dem Amt, die einen Korruptionsskandal in Trudeaus Heimatregion Québec nicht ruhen lassen wollte und im September tauchten schließlich Fotos auf, die den 29-jährigen Trudeau beim "blackfacing" zeigten: Als Lehrer (!) schminkte er sich auf einer Aladdin-Party das Gesicht schwarz.

Insofern sind die etwa 20 Sitze, die seine Partei verliert, wenig überraschend. Dass die Begeisterung weg ist, zeigt die Wahlbeteiligung, die deutlich niedriger ist als die 68 Prozent von 2015. Eine Minderheitsregierung ist in Kanada normal und mit der NDP, die ebenfalls sozialdemokratische Politik machen will und für gesellschaftlichen Fortschritt steht, reicht es für eine Mehrheit. Der äußerst selbstbewusste Trudeau muss nun jedoch lernen, besser mit anderen zusammenzuarbeiten.

Das Ergebnis ist eine gute Nachricht für den Klimawandel

Kanadische Innenpolitik erhält außerhalb der Landesgrenzen kaum Aufmerksamkeit, weshalb wohl nur wenige in Europa das Programm der größten Oppositionspartei, der Conservatives, kennen. Die Partei hat mittlerweile mehr mit den US-Republikanern als mit CDU und CSU zu tun und kritisierte Trudeau für dessen Fokus auf den Kampf gegen die Erderhitzung. Die Liberalen hatten eine landesweite CO₂-Steuer eingeführt, die in allen Regionen gerichtlich bekämpft wird, wo Konservative regieren.

Ein Regierungswechsel hätte wohl dazu geführt, dass Kanada sich längst nicht so stark für Klimaschutz engagiert wie bisher. Auch wenn Umweltschützer Trudeau Zögerlichkeit vorwerfen, so zeigt das Wahlergebnis, dass die Mehrheit der Kanadier den Kurs Trudeaus unterstützen. Auch in Berlin dürfte die Erleichterung groß sein: Kanada zählt zur "Allianz der Multilateralisten", einer Initiative für mehr internationale Kooperation, die Außenminister Heiko Maas ins Leben gerufen hat. Er versteht sich sehr gut mit seiner kanadischen Amtskollegin Chrystia Freeland.

Die Amerikanisierung geht weiter

Auch in Kanada wird Politik immer mehr zur Glaubenssache und ist stark mit Emotionen verknüpft. Für viele konservativere Kanadier zeigt das Thema Klima und Energie, wie weltfremd Trudeau und dessen Anhänger in den Metropolen Toronto, Vancouver, Montreal oder Ottawa sind. Das Bekenntnis zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, mehr Rechten für sexuelle Minderheiten, die Legalisierung von Cannabis und eine Einwanderungspolitik, die jährlich 300 000 Menschen ins Land lässt, um Staatsbürger zu werden, ist weniger umstritten als etwa das Bekenntnis zu einer CO₂-Steuer.

Das Wahlergebnis spiegelt das wider: Trudeaus Liberale gewinnen in den Provinzen Alberta und Saskatchewan, den Zentren der Energiebranche, kein einziges Mandat. Dort ist die Gas- und Ölindustrie groß - und für sie ist Trudeau inakzeptabel. Die Polarisierung dürfte weitergehen, denn außerhalb der großen Städte Kanadas wird viel Fox News geschaut, der erzkonservative Nachrichtenkanal und größte Kabelsender der USA. Über Fake-News-Websites wie Buffalo Chronicle werden falsche Artikel über Trudeau verbreitet, die die Wut der konservativeren Wähler weiter anstacheln. In Kanada wurde zwar aktiv gegen Falschinformationen vorgegangen. Doch die Behörden sind machtlos, da die Website des Chronicle im US-Bundesstaat New York registriert ist.

Trudeaus Herausforderer Andrew Scheer war sehr schwach

Diese Wahl zeigt mal wieder, dass es in der Politik auf Persönlichkeit ankommt. Justin Trudeau taumelte ins Ziel nach einer mittelmäßigen Kampagne, die sich auf die Frage konzentrierte: "Hat der Premier vier weitere Jahre verdient?" Es ist äußerst selten in Kanada, dass ein Regierungschef nach vier Jahren abgewählt wird, aber ein etwas charismatischerer Herausforderer als Andrew Scheer (40, sehr christlich, vertritt die Prärie-Provinz Saskatchewan) hätte dies schaffen können. Trudeau ist eine Hassfigur für konservative Männer auf dem Land. Aber im Vergleich zu Scheer überzeugte Trudeau dann wohl doch viele Wähler - gerade in den bevölkerungsreichen Provinzen Ontario und Québec.

Die Debatte über Trudeaus Skandale wird weitergehen

Die Fragen nach Justin Trudeaus Ehrlichkeit wird auch in der kommenden Legislaturperiode thematisiert werden - und das nicht nur von der konservativen Opposition. In einem Wahlkreis in Vancouver, also an der Westküste, siegte die unabhängige Kandidatin Jody Wilson-Raybould. Sie war bis Januar 2019 Trudeaus Justizministerin. Obwohl sie von Trudeaus Beratern dazu gedrängt wurde, die Ermittlungen gegen den kanadischen Baukonzern SNC-Lavalin einzustellen, der in Libyen Bestechungsgelder bezahlt hatte, gab sie nicht nach. Sie wurde daraufhin vom Justizressort abgezogen, zur Veteranenministerin gemacht und trat wenig später zurück. Der Vorfall schadete Trudeaus Saubermann-Image ganz erheblich.

Wilson-Raybould passte eigentlich ideal in Trudeaus Regierung, die zu 50 Prozent aus Frauen bestand ( "Because it is 2015" sagte er damals), denn sie gehört auch der indigenen Bevölkerung an - und Aussöhnung mit den First Nations hat für Trudeau höchste Priorität (auch hier ist die Enttäuschung groß). Dass gerade sie seinen Charakter in Frage stellt, schadet Trudeaus Image enorm. Wilson-Rayboulds erneuter Einzug ins Parlament in Ottawa wird vermutlich dazu beitragen, dass die Aufarbeitung weitergeht.

Justin Trudeau dürfte das im Moment jedoch noch egal sein: Gewonnen ist gewonnen - und sein Vorsprung ist komfortabler als es wochenlang aussah.

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