Süddeutsche Zeitung

Oberhauswahl:Japan geht Zeitenwende entgegen

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Die konservativen Parteien triumphieren bei der Oberhauswahl. Nun wollen sie Japans pazifistische Verfassung ändern. Das war ein Traum des ermordeten Ex-Premiers Abe.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es ist keine Überraschung, dass Japans Regierungspartei LDP die Oberhauswahl am Sonntag deutlich gewonnen hat. Ebenso hatte man schon geahnt, dass die LDP mit ihrem kleineren Koalitionspartner Komeito und den beiden rechten Oppositionsparteien Nippon Ishin no Kai und DPP eine Zweidrittelmehrheit schaffen würde. Aber erst als das Ergebnis in der Nacht zum Montag (Ortszeit) tatsächlich feststand, erfasste die politische Elite im Tokioter Parlamentsviertel Nagatachō das Gefühl, auf eine historische Wende zuzusteuern. 77 Jahre nach der Kapitulation des kaiserlichen Japans als Aggressor des Zweiten Weltkriegs wird es immer wahrscheinlicher, dass das Nachkriegs-Japan bei militärischen Konflikten wieder mit Kriegsmitteln reagieren darf.

Denn zwei Tage nach dem tödlichen Attentat auf Ex-Premier Shinzō Abe brachten die Wählerinnen und Wähler das rechte Lager in die Position, die Reform von Artikel 9 der pazifistischen Verfassung vorantreiben zu können. Nach den ersten Ergebnissen haben die rechten Parteien im Oberhaus künftig mehr als 170 Sitze - vier mehr, als sie für ihr Vorhaben gebraucht hätten.

Premierminister Fumio Kishida war sich der Bedeutung des Ergebnisses bewusst, als er sagte: "Wir werden die parlamentarische Debatte über die Verfassung weiter vertiefen, damit ein konkreter Änderungsvorschlag erarbeitet werden kann."

Vordergründig ging es bei der Wahl nur um die Hälfte der 248 Sitze im schwächeren "Haus der Räte" des nationalen Zwei-Kammer-Parlaments. Tatsächlich ging es um viel mehr. LDP, Komeito, Ishin und DPP hatten schon im Oktober bei der Unterhauswahl eine Zweidrittelmehrheit errungen. Aber um ein Referendum zur Verfassungsfrage erwirken zu können, brauchten sie eine solche auch im Oberhaus.

77 Jahre ist Japan schon der Gewaltlosigkeit verpflichtet - aber es gibt Bedrohungen

Die Änderung der pazifistischen Verfassung wiederum ist ein langgehegter Wunsch der rechten Kreise in Japan. Es trifft ihren Nationalstolz, dass Artikel 9 Japan in jeder Lage auf Gewaltlosigkeit festlegt. Das zu ändern war für Abe, den Regierungschef von 2012 bis 2020, immer eines der wichtigsten Ziele gewesen.

Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Lage verändert. Die Ängste vor den autoritären Nachbarn Russland, China und Nordkorea nehmen zu. Die LDP warb deshalb im Wahlkampf für eine neue Sicherheitspolitik, wonach Japan in Zukunft bei Angriffen mit eigenen Raketen zurückschlagen können soll. Die jetzige Verfassung würde das verbieten - deshalb wollen die LDP und die anderen Rechten die Reform. Neuerdings ist sogar die eigentlich pazifistische Komeito dafür.

Mindestens 63 Sitze gewann die LDP. Es war das beste Wahlergebnis seit 2013 und ein klarer Vertrauensbeweis für Kishida. Er ist seit Oktober 2021 Premierminister. Kishida hat Japan in Russlands Krieg klar auf der Seite des Westens positioniert. Im Moment des Sieges dachte er an Abe und den Anschlag. "Die Wahlen, die die Grundlage der Demokratie sind, wurden durch Gewalt in Frage gestellt", sagte Kishida, "und es hat eine große Bedeutung, dass sie stattgefunden haben."

Andere dachten dagegen schon wieder weiter. Ichirō Matsui, dessen Nippon Ishin no Kai ebenfalls Gewinne verzeichnete, gratulierte der LDP zu einem "überwältigenden Sieg". Dann dachte er an die Verfassungsänderung. Er sagte: "Die LDP muss dafür einen Zeitplan festlegen, der dem verstorbenen früheren Premier Abe gefallen hätte."

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