Süddeutsche Zeitung

Italien:Mit Renzis Hilfe gegen Salvini

Lesezeit: 4 min

Von Andrea Bachstein, München

Nicola Zingaretti zauderte nicht. "Wir sind bereit für die Herausforderung", teilte der Vorsitzende von Italiens größter Oppositionspartei, des sozialdemokratischen Partito Democratico, auf allen Kanälen mit. Kaum war am Donnerstagabend klar, dass Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini die Regierung platzen lässt, meldete sich der PD-Chef. Aber das ändert nichts an den Zweifeln daran, wie bereit der PD ist. In Umfragen liegt er bei gut 22 Prozent, klar vor den Cinque Stelle. Aber seit die Koalition aus Lega und Cinque Stelle im vergangenen Sommer an die Regierung kam, waren die Sozialdemokraten vor allem mit sich beschäftigt. Interne Flügelkämpfe, persönliche Zerwürfnisse - seit es ihn gibt, hat es der PD bei der Selbstzerfleischung zu hoher Kunst gebracht. Ein großes Thema dabei war Matteo Renzi, der Ex-Premier und gefallene Superstar des PD.

Entsprechend blass war der PD als Opposition, obwohl ihm die nun zerbrochene Koalition serienweise Steilvorlagen bot. Zingaretti, 53, wurde im März Vorsitzender. Ein besonnener Mann, seit 2013 Chef der Regionalregierung von Latium. Zuletzt wurde es etwas ruhiger beim PD. Doch Zingaretti ist kein Meister pointierter Sprache, kein mitreißender Charismatiker. Womöglich hat er sich zu viel zurückgehalten, um nicht zu polarisieren. Kritiker warfen ihm vor, oft nichts zu sagen, um Streit im eigenen Haus zu vermeiden.

Doch zwischen PD und Lega dürfte für die Neuwahl im Herbst die Hauptkampflinie liegen, beim Versuch, enttäuschte Fünf-Sterne-Wähler zu den Sozialdemokraten zu holen. Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) ist nicht die große Herausforderung für den PD. FI dümpelt bei sieben Prozent in Umfragen und erlebt eine Spaltung.

Dass für den PD die einzige Hoffnung darin liegt zusammenzuhalten, hat Zingaretti am Freitag so formuliert: "Der PD ist reich an Persönlichkeiten. Uneins sind sie ein Desaster, wenn sie sich vereinen, sind sie unschlagbar", sagte er dem Sender Radio Capital. Er machte ein Angebot an den Mann, über den der PD bis zur Erschöpfung gestritten hat: "Renzi", sagte Zingaretti, "soll zu einer guten Mannschaft gehören, um das Land zu verändern." Renzi solle dem PD helfen, Lega und Cinque Stelle zu schlagen, das hatte er schon in den Tagen zuvor gesagt.

Matteo Renzi, 44, war von Anfang 2014 bis Ende 2016 der jüngste Regierungschef Italiens, mit gewaltiger Energie stieß er Reformen in allen Bereichen an, bescherte dem PD einen Erfolg bei der vorletzten Europawahl. Aber ihm folgte immer nur ein Teil des PD. Kritiker warfen und werfen ihm vor, eigentlich sei er eher Christdemokrat als ein Linker. Und Renzi machte Fehler, tönte zu vorlaut und selbstbewusst. Der gewaltigste Fehler aber war, sein Amt mit einem Referendum zu verbinden, das er dann verlor. Er musste zurücktreten. Seither haben Teile seiner Partei ihn niedergemacht, als wäre er Italiens größtes Übel, quasi schlimmer als Salvini.

So war Renzi gerade am Punkt, die Gründung einer eigenen Partei zu erwägen. Mit ein paar Getreuen aus dem PD, darunter Ex-Europaminister Sandro Gozi. Ob dieser Plan jetzt ruht, muss sich zeigen. Renzi jedenfalls ist in Form. Wie es der Zufall wollte, hatte er am Donnerstagabend, als Salvini die Bombe zündete, einen Auftritt für den PD in seiner Heimatregion Toskana. In Santomato rief er auf der Bühne begeistert: "Die Regierung der Stümper" sei gefallen. "Salvini macht sich in die Hosen aus Angst vor dem Haushaltsgesetz." Renzi drehte auf, wie es kein anderer im PD vermag. Was ihn im Herzen umtreibe, so Renzi, sei Sorge um die Italiener, aber auch die Hoffnung, dass das Land jetzt die Augen öffne und sehe, was in den letzten Jahren angerichtet worden sei.

Ob er Zingaretti die Hand reicht, um die der PD-Chef ihn bat, muss Renzi nun schnell entscheiden. Er weiß, was geschah, als vor der Wahl 2018 einige seiner unversöhnlichen Gegner im PD eine eigene Partei gründeten. Schwergewichte wie der langjährige PD-Chef Pier Luigi Bersani, Ex-Premier Massimo D'Alema: Sie endeten mit anderen Partnern unter ferner liefen bei der Wahl, kosteten den PD aber vielleicht entscheidende zwei, drei Prozent. Auch der PD muss etwas entscheiden: 2018 war es für ihn nach der Wahl ausgeschlossen, mit den Fünf Sternen zu koalieren, zu groß die Feindseligkeit, zu verschieden die Programme. Hätten sich beide anders entschieden, wären Salvini und die Lega nie so weit gekommen. Bei der nächsten Wahl wären PD und Cinque Stelle zusammen nach jetzigem Stand die einzige Konstellation auf eine Mehrheit ohne die Lega.

Und dann gibt es noch Silvio Berlusconi, fast 83-jährig und irgendwie sein eigener Wiedergänger. Mit seiner Mitte-rechts-Partei FI könnte die Lega nach jetzigen Umfragen eine Mehrheit bilden, so wie früher. Nur war da Berlusconis FI der große Partner und die Lega der kleine. Neuwahlen seien die beste Lösung, sagte Berlusconi am Freitag, da habe Salvini recht. Durch Schuld der Cinque Stelle, sagte er der familieneigenen Zeitung Il Giornale, lebten die Italiener "in einem Land, in dem nichts mehr funktioniert". Dass Berlusconi sich da als Partner bei Salvini andiente, könnte sein. Aber auch ihn und die FI trifft eine Wahl zu einem schlechten Moment.

Berlusconi ist zu alt für die Zukunft

Der greise Patriarch hat zwar gerade ein neues Projekt angestoßen, "L'altra Italia", eine Föderation bürgerlich-rechter Parteien solle das werden, sagte er. Aber er ist zu alt für die Zukunft, auch die Gesundheit hat ihm zuletzt zu schaffen gemacht - und ein anderes Projekt, das aus seiner Partei stammt, aber nicht von ihm. Giovanni Toti, Gouverneur von Ligurien, ist neulich von Bord gegangen, hat eine neue Bewegung gegründet: "Cambiamo", lasst uns verändern. Toti galt als politischer Ziehsohn Berlusconis. Doch dass der Alte nicht loslässt und auch nicht alle politischen Ideen Totis aufnimmt, hat ihn vertrieben. Und mit ihm alte Weggefährten Berlusconis. Denn Berlusconi, der einen vierköpfigen Präsidiumsrat in der FI eingeführt hat, machte klar: "Drinnen oder draußen." Wer sich in der FI Totis Cambiamo anschloss, musste gehen. Ein schwerer Aderlass für die FI, aber dass Cambiamo sich als Sovranisten-Partei platzieren will, ging Berlusconi offenbar zu weit. Er war nie EU-Gegner, auch wenn sie ihm gelegentlich als Sündenbock diente.

Für den abtrünnigen Toti kommt die Wahl auch zu früh. Er wollte im September auf Tour, um Cambiamo vorzustellen. Er wäre natürlicher Verbündeter Salvinis. Die Lega wird auf ihn und Berlusconi nicht unbedingt angewiesen sein. Sie steht bei rund 36 Prozent und könnte mit den postfaschistischen Fratelli D'Italia (FdI) mit etwa 6,5 Prozent auskommen. Die FdI-Vorsitzende Giorgia Meloni könnte Konkurrenz für Salvini werden - ihre Polemik kann sich mit der des Lega-Chefs messen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4558808
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.