Süddeutsche Zeitung

Italien:Nur die Jüngsten dürfen an Land

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Helfer nahmen 29 Jugendliche unter den 177 Flüchtlingen in Empfang. Zwölf EU-Staaten beraten nun über die Migranten an Bord der "Diciotti".

Von Andrea Bachstein und Alexander Mühlauer, München/Brüssel

Der Druck war Italiens Innenminister Matteo Salvini offenbar doch zu groß geworden, um nicht wenigsten die Minderjährigen vom Küstenwachenschiff Diciotti im sizilianischen Catania an Land gehen zu lassen. Helfer nahmen die 29 Jugendlichen unter den 177 Flüchtlingen, die seit Donnerstag vergangener Woche an Bord festgehalten wurden, am späten Mittwochabend in Empfang. Die übrigen Migranten mussten weiter warten, ob sich andere EU-Länder bereit erklären, einen Teil von ihnen aufzunehmen, wie es Salvini verlangt. An diesem Freitag könnte es darauf eine Antwort geben. Dann kommen in Brüssel die Vertreter aus zwölf EU-Staaten zusammen, um über eine Lösung im Drama um die Diciotti-Migranten zu beraten.

Und die italienische Regierung macht gleich klar, was sie erwartet: Wenn beim Treffen der Europäischen Kommission nichts zur Verteilung der Migranten herauskomme, "dann werde ich nicht bereit sein, jedes Jahr 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen", sagte Vize-Regierungschef Luigi Di Maio. Dass zumindest die Jüngsten in Catania von Bord durften ließ, dürfte zum einen mit einem Telefonat zu tun haben, das Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella am Mittwoch mit Regierungschef Giuseppe Conte zu dem Fall geführt hatte. Zum anderen drohten juristische Konsequenzen. Oberstaatsanwalt Luigi Patronaggio aus dem sizilianischen Agrigent hatte am Mittwoch die Diciotti inspiziert, und für die Gesundheit bedenkliche Zustände festgestellt, es grassierten ansteckende Krankheiten. An der Mole, an der die Diciotti in Catanias Hafen liegt, wurde die gelbe Flagge aufgezogen, die Seuchengefahr signalisiert. Staatsanwalt Patronaggio sagte, unbegleitete Minderjährige hätten aufgrund internationaler und italienischer Gesetze das Recht, an Land zu gehen. Die Staatsanwaltschaft Agrigent leitete Ermittlungen gegen Unbekannt ein wegen möglicher Freiheitsberaubung und illegaler Inhaftnahme. Salvini spottete dazu auf Facebook: "Ich bin hier, ich bin nicht unbekannt." Auch die Jugendgerichtsbarkeit von Catania hatte zuvor mit Verfahren zum Schutz der Minderjährigen gedroht.

Salvinis Vorgehen hat darüber hinaus zu einem weiteren Konflikt mit einem Politiker des Koalitionspartners Cinque Stelle geführt. Roberto Fico, Präsident der Abgeordnetenkammer, verlangte auf Twitter, die Migranten von der Diciotti gehen zu lassen. Salvini antwortete: "Mach Du den Kammerpräsidenten, ich bin Innenminister einer Regierung, die ein sehr genaues Programm hat." Am Donnerstag erläuterte Salvini dem Radiosender RTL, ihm schwebe eine Politik nach dem Prinzip Australiens vor: Demnach sollen Migranten, die auf dem Meer aufgriffen werden, prinzipiell keinen Fuß auf den Boden Italiens setzen dürfen. Sein Ziel, so Salvini, sei nicht die Verteilung von Flüchtlingen und Migranten in der EU, sondern es solle bereits in den Herkunftsländern entschieden werden, wer nach Europa dürfe, so dass nur noch legale Migranten kämen.

Bei dem Treffen der Vertreter aus zwölf Ländern wird es vor allem um die Frage gehen, wie aus Seenot gerettete Migranten künftig in der EU verteilt werden können. Die Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, wollen zusammen mit der Europäischen Kommission einen langfristigen Mechanismus finden. Damit soll verhindert werden, dass der Verteilungsstreit bei jedem in Italien anlandenden Schiff wieder aufs Neue ausbricht.

Aus Sicht der Kommission geht es um eine humanitäre Frage, die gelöst werden soll, indem die Mitgliedstaaten die Verantwortung teilen. "Unser Ziel ist ein gemeinsamer Ansatz in der Europäischen Union", sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag. Weil aber viele Staaten nicht bereit sind, Migranten aufzunehmen, fürchten die willigen Länder, dass eine Lösung unter zwölf Staaten dazu führen könnte, dass sich wieder mehr Migranten aus Afrika nach Europa aufmachen könnten.

Gäbe es nämlich einen Verteilungsschlüssel unter einem Dutzend EU-Staaten, wüssten die Menschen, dass sie nach ihrer Ankunft in Europa nicht nach Ungarn oder Polen geschickt würden. Diesen sogenannten Pull-Faktor für Migranten will man verhindern. Bei der Rettung des Schiffs Aquarius wurden kürzlich 141 Migranten nach Malta gebracht, die auf Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien verteilt werden sollen.

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SZ vom 24.08.2018
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