Süddeutsche Zeitung

Italien:Heikles Gedenken

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Vor 80 Jahren verübten die deutschen Besatzer zahlreiche Kriegsverbrechen. Über deren Aufarbeitung ist in Italien für das Jahr 2024 viel Streit zu erwarten, die Postfaschisten ringen um eine Positionierung.

Von Marc Beise, Rom

Zu den Fosse Ardeatine, von denen 2024 noch viel die Rede sein wird in Italien, ist es aus dem römischen Zentrum nicht weit, keine halbe Stunde mit dem Auto. In der Stadt wurde gerade das neue Jahr mit einem gigantischen Spektakel begrüßt. Besonders gut feiern ließ es sich am Circo Massimo, der berühmten Pferderennbahn der alten Römer, Gratiskonzert inklusive. Noch ein bisschen weiter nach Süden, und schon ist man an den Ardeatinischen Höhlen angelangt. Hier hat ein besonders schweres Kriegsverbrechen stattgefunden, das sich 2024 zum 80. Mal jährt.

1944 also. In jener dunklen Zeit befand sich das faschistische Italien in Auflösung, die Regierung hatte sich endlich des Diktators Benito Mussolini entledigt, der vor den aus Süden anrückenden US-Truppen in den Norden geflohen war. In der Folge war Rom von den Deutschen besetzt worden, die mit harter Hand regierten - und reagierten. Im März 1944 gelang italienischen Widerstandskämpfern ein Bombenanschlag in der Hauptstadt, bei dem 33 Mitglieder eines vorbeimarschierenden Südtiroler Polizeiregiments getötet wurden. Die Besatzer beschlossen, Rache zu nehmen.

Für jeden getöteten Deutschen wurden tags darauf, am 24. März 1944, in den Höhlen zehn Italiener durch Genickschuss ermordet. Die Opfer waren in aller Eile unter politischen Gefangenen zusammengesucht und mit 75 Juden ergänzt worden, die auf ihre Deportation in die Vernichtungslager warteten. Nach dem Krieg wurden die Verantwortlichen unterschiedlich hart bestraft. Bekanntlich tat sich Deutschland mit der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen schwer. Aber auch Italien selbst hat Probleme mit der Erinnerung.

Namentlich die Postfaschisten wollen bis heute ihre Vergangenheit nicht klar und deutlich verurteilen. Das fällt jetzt mehr auf als früher, weil ausgerechnet die stärkste Regierungspartei Italiens, die Fratelli d'Italia, erklärtermaßen in der Tradition des Faschismus steht. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni weigert sich beharrlich, sich als Antifaschistin zu bezeichnen - obwohl schon die Verfassung auf Antifaschismus basiert.

Für ihre Äußerungen anlässlich des Gedenktags im März 2023 hat Meloni heftige Kritik auf sich gezogen, als sie sagte: "335 unschuldige Italiener wurden niedergemetzelt, nur weil sie Italiener waren." Dabei hat sie ausgeblendet, dass die deutschen Besatzer in der Tradition des faschistischen Regimes von Mussolini standen, dass sie von dessen Gefolgsleuten weiter unterstützt wurden und dass die Opfer dezidiert Partisanen, Antifaschisten und Juden waren.

Historiker rieten Meloni vor einem Jahr, sich mit dieser Geschichte zu beschäftigen und 2024 bessere Worte zu wählen. Man wird sehen, ob sie das beherzigt; Anlässe genug wird es geben. Denn das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen ist ja nur eines von vielen Verbrechen. Die Massenerschießungen am Turchino-Pass, das Massaker von Marzabotto und viele andere grauenvolle Taten werden besonders in diesem Jahr dafür sorgen, dass die Vergangenheit in Italien lebendig bleibt.

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