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Vincenzo De Luca:Der Sheriff mit dem losen Mundwerk

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Der linke Gouverneur Kampaniens ist für seine Liveschaltungen bei Facebook bekannt - und für Ausfälligkeiten gegenüber Gegnern. In Umfragen ist De Luca sehr beliebt, trotz aller Unflätigkeiten - oder vielleicht gerade deshalb.

Von Oliver Meiler, Rom

Was ein "dreifacher Esel" genau ist, muss Vincenzo De Luca vielleicht einmal erklären. Wobei: Ob man das wirklich so genau wissen will? De Luca ist 71 Jahre alt und Gouverneur Kampaniens. Früher Kommunist, heute Sozialdemokrat. Vor allem aber ist er er selbst. In Neapel rufen sie ihn "'o Sceriffo", Sheriff, weil er den Typus Law & Order markiert. Spätestens seit dem Ausbruch der Pandemie, die seine Region bisher nur vergleichsweise schwach getroffen hat, ist er im ganzen Land ein Star, ja ein Superstar. Ein schräger allerdings, selbst für die Verhältnisse der italienischen Politik, die schon immer reich war an Figuren aus dem Leihensemble der Commedia dell'Arte.

Berühmt wurde De Luca mit Liveschaltungen auf Facebook. Er unterweist darin die Bevölkerung, wie sie sich zu verhalten hat - mit Maske und fragwürdigen Stilblüten. Diese "Dirette" sind Kult, die Höhepunkte daraus werden wie wahnsinnig geteilt. Als ihm zum Beispiel zu Ohren kam, dass junge Menschen in Neapel planten, trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit ihren Uniabschluss zu feiern, sagte De Luca: "Seid euch gewiss: Ich schicke die Carabinieri, aber mit Flammenwerfern."

Besonders beliebt bei seinen Fans ist das Genre, das er seine ganze Karriere lang schon aufführt: Er greift seine Gegner an, Politiker und Reporter, und wird dabei immer ausfällig, jenseits jeder Etikette. Er nennt sie wahlweise "Prolle", "Blödmänner", "Frevler", "Pfeifen", "Mistkerle" und eben, "Esel". Über einen Chefredakteur, der ihn kritisierte, sagte er: "Ein Vollidiot. Ich hoffe, ich begegne ihm mal auf der Straße - in der Nacht."

Zuletzt war Matteo Salvini dran, der Chef der rechten Opposition. Der frühere Innenminister hatte es gewagt zu fragen, wo wohl De Luca war, als neulich Tausende Fans des Fußballvereins SSC Neapel ihre Freude über den Pokalsieg auf die Piazza trugen. Nun, De Luca verbat sich die Kritik und bedachte Salvini mit einer Schimpfsalve, in der fast alle Prädikate aus dem bekannten Repertoire vorkamen, dazu der "dreifache Esel", der mal wieder "iahte", und der "Lümmel". Die Pointe, die hier aus Chronistenpflicht in ganzer Länge erwähnt sein muss, ging so: "Dieser politische Spitzenvertreter hat ein Gesicht, das aussieht wie sein Hintern, und der ist auch noch abgenutzt."

Für den Corriere della Sera ist De Luca zu weit gegangen. Eine ganze Seite widmete Italiens größte Zeitung dem "surrealen Governatore" diese Woche. "De Luca ist gefangen in seiner Rolle, scheel und einschüchternd, inakzeptabel", heißt es im Artikel. Offensichtlich gebe es in seiner Umgebung niemanden, der ihm sage, es sei jetzt mal gut.

Noch hat De Luca nicht geantwortet, aber lange muss man wohl nicht warten. Aus dem Norden lässt er sich nichts sagen, und der Corriere kommt aus Mailand. De Luca hat Philosophie studiert. In den zumutbaren Passagen seiner Reden zeugt seine Eloquenz von viel Kultur. Groß geworden ist er im Partito Comunista Italiano, in dem sie der Rhetorik viel Gewicht beimaßen. Zwanzig Jahre lange war De Luca Bürgermeister von Salerno, einer Stadt südlich von Neapel. Er regierte sie wie ein König, man nannte ihn "o Faraone". Schulden kümmerten ihn nicht. Doch da er viel zustande brachte, war er beliebt. Die Kriminalität ging runter, die Straßen waren sauber, die Mülltrennung erreichte nationale Rekordwerte. In der Mitte von Verkehrskreiseln ließ er Blumen pflanzen, überall wurden Brunnen gebaut, das Gesundheitswesen wurde besser. Salerno war anders, das sprach sich herum.

Und so schaffte es De Luca 2015 an die Spitze der Region, eine Großpromotion. Im kommenden Herbst wird neu gewählt. Der Sheriff ist Favorit, trotz aller Unflätigkeiten - oder vielleicht gerade deshalb. In den jüngsten Umfragen ist er plötzlich der viertpopulärste Politiker überhaupt in Italien. Ohne "Big Enzo", wie sie ihn im Partito Democratico nennen, verliert die Linke Neapel. Da geht einem halt schon mal der Mund über.

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SZ vom 26.06.2020
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