Süddeutsche Zeitung

Israel:Netanjahu treibt umstrittene Justizreform voran

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Das Gesetzespaket nimmt weitere Hürden in der Knesset. Auch die Amtsenthebung eines Ministerpräsidenten soll damit erschwert werden.

Von Sina-Maria Schweikle, München

Wenige Tage nach den größten Protesten in der Geschichte des Landes haben in der israelischen Knesset mehrere Gesetzesänderungen der umstrittenen Justizreform eine weitere Hürde genommen. Nach stundenlangen Debatten billigte das Parlament am Montagabend in der ersten von drei Abstimmungen eine Gesetzesänderung, die es deutlich schwerer machen soll, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären: Nur er selbst oder eine Dreiviertelmehrheit im Parlament soll künftig eine Amtsenthebung veranlassen können. Zur Begründung dürften demnach nur gesundheitliche Gründe herangezogen werden. 61 Abgeordnete stimmten dafür und 51 dagegen.

Dies könnte Regierungschef Benjamin Netanjahu wegen des Korruptionsverfahrens, das gegen ihn läuft, nützen. Kritiker werfen der Regierung deshalb vor, dass das Gesetz auf Netanjahu zugeschnitten worden sei. Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara warnte vor "absurden Situationen" und einem "schwarzen Loch", wenn ein Ministerpräsident nicht mehr aufgrund eigener Verfehlungen abberufen werden könne.

Ebenfalls in erster Lesung wurde ein weiteres Vorhaben angenommen. Mit der sogenannten Aufhebungsklausel könnte künftig eine einfache Mehrheit von 61 Parlamentariern Entscheidungen des Obersten Gerichts überstimmen. Auch das Vorhaben, die Präsenz israelischer Siedler in den besetzten palästinensischen Gebieten zu stärken, fand Zustimmung. Um den Druck auf Netanjahus rechts-religiöse Koalition zu erhöhen, drohten Vertreter der israelischen Opposition laut israelischen Medienberichten mit dem Boykott der Knesset-Abstimmung, sollte einer der Gesetzesentwürfe eine dritte und letzte Lesung erreichen. Auch die Zivilgesellschaft gibt mit weiteren Demonstrationen ihren Unmut kund. Am frühen Dienstagmorgen wurden Straßen zu den Regierungsbüros in Jerusalem blockiert. Benjamin Netanjahu zeigt sich unbeeindruckt und beschuldigt die Medien, die Proteste gegen die geplante Reform anzuheizen.

Staatspräsident Herzog konstatiert eine Krise

Während sich die Fronten in der Regierung weiter verhärten, versucht Israels Staatspräsident Isaac Herzog, in dem Konflikt zu schlichten. Es müsse mit aller Macht eine Einigung erzielt werden, um Israel aus der Krise zu führen, so Herzog am Montag bei einer Veranstaltung in Tel Aviv. Kritiker sehen durch die geplanten Justizreformen die Gewaltenteilung in Gefahr. Eine Befürchtung, die auch die USA und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilen, sie hatten sich bereits besorgt über das umstrittene Vorhaben geäußert.

Ob sich Bundeskanzler Olaf Scholz nach seinem Treffen mit Netanjahu am Donnerstag in Berlin dazu äußern wird, ist noch offen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte mit, dass sich der Kanzler ungeachtet der jüngsten Kritik auf den Besuch des israelischen Premierministers freue. Rund tausend Künstler haben die Absage des Berlin-Besuchs gefordert mit der Begründung, dass sich Israel in einer Krise befinde. Auch in Berlin sind mehrere Protestdemonstrationen angekündigt.

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