Süddeutsche Zeitung

Konflikt im Nahen Osten:Wie lange wird es diesmal dauern?

Lesezeit: 3 Min.

Kämpfer des Islamischen Dschihad beschießen Israel mit mehr als 500 Raketen. Die Situation ist extrem angespannt. Was für eine baldige Waffenruhe spricht - und was dagegen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Das Handy wird zum Warnsystem für Israels Bevölkerung. Manchmal im Minutentakt ploppt die Meldung auf: "Red Alert", Raketenalarm. Ein Rückzug in den Schutzbunker ist dann angesagt für Hunderttausende Menschen im Grenzgebiet um den Gazastreifen und bisweilen auch bis ins 60 Kilometer entfernte Tel Aviv. Mehr als 800 Raketen wurden in der aktuellen Runde des Konflikts bereits auf Israel abgefeuert, am Donnerstag gab es den ersten Toten plus vier Verletzte bei einem Raketentreffer auf ein Haus in Rehovot. Zugleich bombardiert Israels Luftwaffe Einrichtungen des Islamischen Dschihad im palästinensischen Küstenstreifen, mehr als 25 Menschen wurden dabei schon getötet, darunter Frauen und Kinder. In die Alarmmeldungen und den Explosionsdonner mischen sich aber auch schon die Rufe nach einer baldigen Waffenruhe. Die Frage, die beide Seiten umtreibt, lautet also: Wie lange wird es diesmal dauern?

Hoffnung auf ein schnelles Ende war gleich zu Beginn durch zwei Faktoren aufgekeimt: Erstens hält sich die Hamas bislang aus der direkten Auseinandersetzung heraus, zweitens ist Ägypten, das über gute Drähte zu beiden Konfliktparteien verfügt, sogleich aktiv geworden. Frühe Meldungen über ein bevorstehendes Kampfende waren jedoch schnell von der Dynamik der Gewalt überholt worden: In der Nacht zum Donnerstag tötete Israels Armee mit einem gezielten Luftschlag bereits den vierten Kommandeur des Islamischen Dschihad, der für den aktuellen Raketenbeschuss maßgeblich verantwortlich gewesen sein soll. Das Echo aus Gaza kam prompt: "Blut wird mit Blut, Tod mit Tod vergolten", warnte ein hohes Mitglied der Miliz.

Ein Waffenstillstand hat auch immer etwas mit Gesichtswahrung zu tun

Rechnungen also sollen noch beglichen, Rache soll weiter geübt werden. Am Ende der Kämpfe wollen beide Seiten etwas präsentieren können, was als Erfolg gelten kann. Ein Waffenstillstand hat, wenn es nicht um Erschöpfung geht, auch immer etwas mit Gesichtswahrung zu tun.

Auf israelischer Seite verbreitet Premierminister Benjamin Netanjahu schon jetzt die Botschaft, dass mit den Luftangriffen auf die Kommandeure und die militärische Infrastruktur entscheidende Schläge gegen den Islamischen Dschihad gelungen seien. Das oberste Ziel, nämlich die Abschreckungskraft wiederherzustellen, scheint damit erreicht zu sein. Dem Feind wurde eine Lektion erteilt, nachdem er bereits in der vorigen Woche mehr als hundert Raketen nach Israel gefeuert hatte als Vergeltung für den Tod eines hungerstreikenden Häftlings.

So schmerzhaft diese Lektion auch sein mag - aus Erfahrung müsste Israel wissen, dass jede solche Maßnahme immer nur kurzfristig wirkt. Nach fast gleichem Drehbuch waren seit 2019 schon drei solche Schläge gegen den Islamischen Dschihad im Gazastreifen geführt worden. Führungskader wachsen nach wie die Köpfe der Hydra, Raketenarsenale werden schnell wieder aufgefüllt, zumal hinter dem Islamischen Dschihad das Regime in Teheran steht.

"Wir sind zusammen in den Einsatz gezogen, und wir werden zusammen gewinnen"

Zum Abschreckungsszenario zählt für Netanjahu jedoch noch ein weiterer Effekt: Die innenpolitischen Turbulenzen der vergangenen Monate haben nicht nur Israels Gesellschaft gespalten, sondern hatten auch die Armee erreicht. Dies hatte Zweifel aufkommen lassen an Israels Abwehrkräften - bis hin zu hämischen Bemerkungen aus Iran, dass der jüdische Staat wohl im Zerfall begriffen sei. Jetzt betont Netanjahu wieder die Einheit des Landes: "Wir sind zusammen in den Einsatz gezogen, und wir werden zusammen gewinnen", erklärte er. Allen Feinden soll dies als Botschaft dienen, dass Israel keine Schwäche zeigt.

Vereint zeigen sich in ihren kämpferischen Erklärungen auch die militanten Gruppen im Gazastreifen. Die Angriffe auf Israel, so heißt es, würden von einer gemeinsamen Kommandozentrale aus geführt. In der Praxis allerdings ist nach Einschätzung israelischer Sicherheitskreise die Hamas nur symbolisch beteiligt - und sie hat tatsächlich gute Gründe, außen vor zu bleiben bei diesen Kämpfen.

Es liegt schlicht nicht in ihrem Interesse, sich vom kleineren und zudem konkurrierenden Islamischen Dschihad in eine Auseinandersetzung mit Israel treiben zu lassen. Die Hamas folgt ihrer eigenen Agenda, und in Bezug auf den Gazastreifen setzt sie derzeit eher auf Stabilisierung. Dank monatlicher Hilfszahlungen aus Katar und einer Arbeitserlaubnis für 17.000 Männer aus Gaza in Israel hat sich die elende wirtschaftliche Lage etwas verbessert. Ein längerer Krieg mit Israel würde all das sofort zunichtemachen.

Den Konflikt mit Israel trägt die Hamas derzeit lieber im Westjordanland aus, mit Terroranschlägen und bei Schusswechseln mit Sicherheitskräften. Obendrein hat dies den Nebeneffekt, dass die in Ramallah regierende Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Machmud Abbas dabei weiter geschwächt wird.

In dieser Gefechts- und Gemengelage müssen die Vermittler nun nach einer Lösung für einen tragfähigen Waffenstillstand suchen. In vorderster Linie stehen dabei die Ägypter, israelischen Berichten zufolge haben sich zudem Katar und die Vereinten Nationen eingeschaltet. Auch aus Washington kommen bereits Aufforderungen zu einer schnellen Deeskalation. Bis zu einem Erfolg der Vermittler aber werden die Israelis auf ihre Handys schauen mit den Meldungen zum Raketenalarm. Und im Gazastreifen müssen die Bewohner ungeschützt von Bunkern und Alarmsirenen weiter die Wucht der israelischen Angriffe fürchten.

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