Süddeutsche Zeitung

Israel, Grass und das Einreiseverbot:"Politisch halte ich ihn für einen Trottel"

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Die israelische Regierung will den Schriftsteller Günter Grass wegen seines umstrittenen Gedichtes nie wieder ins Land lassen - der Bann irritiert die deutsche Politik. Die Rede ist von einer "Überreaktion" Israels, zugleich fällt die Kritik an Grass drastisch aus.

Daniel Brössler, Berlin

Die Entscheidung der israelischen Regierung, den Schriftsteller Günter Grass wegen seines umstrittenen Gedichts über angebliche Pläne für einen Atomkrieg gegen Iran mit einem Einreiseverbot zu belegen, ist in Deutschland und Israel auf Befremden gestoßen.

"Ich war überrascht. Das ist der Auseinandersetzung, die notwendig ist, unangemessen", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, am Montag der Süddeutschen Zeitung. "Das Einreiseverbot halte ich für eine Überreaktion der israelischen Regierung", kritisierte der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Rainer Stinner.

Beide Politiker erneuerten zugleich die scharfe Kritik an Grass. "Grass ist Schriftsteller. Politisch habe ich Grass schon immer für einen Trottel gehalten. Seine Äußerungen haben das ein weiteres Mal bestätigt", sagte Stinner. Grass sei nicht in der Lage, die Komplexität der politischen Situation im Nahen Osten zu verstehen. Als "Quatsch" bezeichnete Mützenich die Behauptung von Grass, über die nukleare Bewaffnung Israels werde geschwiegen.

Der israelische Innenminister Eli Jischai hatte Grass am Sonntag zur unerwünschten Person erklärt und dies mit dem in der vergangenen Woche publizierten Gedicht des Schriftstellers begründet. Dieses sei "ein Versuch, das Feuer des Hasses auf den Staat Israel und seine Menschen zu lenken". Grass solle seine Arbeit lieber in Iran fortsetzen, "wo er ein unterstützendes Publikum finden" könne. Jischai verwies dabei auch auf die Vergangenheit von Grass "in SS-Uniform" während des Zweiten Weltkriegs.

Grass hatte vor sechs Jahren bekannt, dass er als 17-Jähriger zur SS eingezogen worden war. Der Hinweis auf die einstige Zugehörigkeit zur SS ist juristisch von Bedeutung, weil ein Gesetz den israelischen Behörden erlaubt, Personen mit NS-Vergangenheit die Einreise zu verweigern.

Primor nennt Einreise-Bann "ein bisschen hysterisch oder populistisch"

In der ARD nannte der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, die Entscheidung der israelischen Regierung "übertrieben, ein bisschen hysterisch oder populistisch - auf jeden Fall nicht gerechtfertigt". Jischai, der Vorsitzender der orthodoxen Schas-Partei ist, betreibe Innenpolitik. Israelische Medien kritisierten einen Überbietungswettbewerb von Regierungsmitgliedern in Jerusalem in ihrer Kritik an dem deutschen Literatur-Nobelpreisträger. "Die Entscheidung Jischais riecht nach Populismus", hieß es in der linksliberalen Zeitung Haaretz. Grass habe nicht mehr getan, als ein Gedicht zu verfassen. "Der Staat Israel hat, durch seinen Innenminister, hysterisch darauf reagiert", kritisierte das Blatt.

Grass hatte in seinem in der SZ abgedruckten Gedicht "Was gesagt werden muss" Israel die Absicht zu einem "Erstschlag" unterstellt, der "das iranische Volk auslöschen könnte". Nach massiver Kritik präzisierte der 84-Jährige, dass es ihm in erster Linie um die derzeitige Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu gehe und nicht um Israel als Ganzes. Dessen ungeachtet kritisierte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in der Bild am Sonntag: "Israel und Iran auf eine gleiche moralische Stufe zu stellen, ist nicht geistreich, sondern absurd." Wer die vom iranischen Atomprogramm ausgehende Bedrohung verharmlose, verweigere sich der Realität.

Lesen Sie hier weitere Informationen zur Debatte um Günter Grass, sein Gedicht und das gegen ihn verhängte Einreiseverbot.

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SZ vom 10.04.2012
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