Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Israel verärgert mit Verbot palästinensischer Hilfsorganisationen

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Die Militärverwaltung im besetzten Westjordanland schließt sieben Nichtregierungsorganisationen. Das befeuert nicht nur den Konflikt mit den Palästinensern. Es droht auch ernster Streit zwischen Jerusalem und westlichen Regierungen.

Von Peter Münch, Ramallah

Am Eingang sieht man noch die Spuren - ein paar Brüche im Putz, ein paar kräftig hineingebohrte Löcher im Türrahmen. Doch drinnen in den Büros der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq in Ramallah herrscht strengste Normalität. Alles soll so sein wie immer. Die Klimaanlage surrt gegen die Hitze an, Shawan Jabarin sitzt mit hochgekrempelten Ärmeln an seinem Schreibtisch. "Die Israelis wollen uns zum Schweigen bringen und in Angst versetzen", sagt er. "Aber wir setzen unsere Arbeit fort."

Allein, dass Jabarin hier sitzt - in seinem Direktorenbüro der über die Grenzen des Westjordanlands hinaus bekannten und anerkannten NGO Al-Haq, für die der gelernte Anwalt seit 1987 arbeitet -, kann ihn schon ins Gefängnis bringen. Denn er missachtet damit das Verbot, das die israelische Besatzungsmacht in der vorigen Woche offiziell über seine Organisation verhängt hat. Bei einer nächtlichen Razzia hatten israelische Soldaten die Türen aufgebrochen und die Räume durchsucht. Und als sie wieder abzogen, schweißten sie vor die Eingangstür noch eine schwere Eisenplatte, auf der sie die Nachricht der Militärverwaltung hinterließen, dass Al-Haq nun jegliche Aktivität untersagt sei.

So wie gegen Al-Haq ging die israelische Armee in der gleichen Nacht noch gegen ein halbes Dutzend weiterer palästinensischer NGOs vor: gegen Addameer, die Rechtshilfe für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen anbietet; gegen die palästinensische Sektion von Defence for Children International mit Zentrale in Genf; gegen einen Thinktank namens Bisan und gegen weitere Gruppierungen, die sich um Frauenrechte, Gesundheit und die Stärkung der Landwirtschaft kümmern. All diese Organisationen sind Stützen der palästinensischen Zivilgesellschaft, und oft genug sind sie auch ein Stachel im Fleisch der israelischen Besatzung.

Die angeordnete Schließung befeuert jedoch nicht nur den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Es droht auch ein ernster Streit zwischen der Regierung in Jerusalem und den Partnern in Brüssel, Berlin und Washington. Denn dort wird Israels Vorgehen gegen die Organisationen, die finanzielle Unterstützung aus der EU oder auch von deutschen Stiftungen erhalten, mit Verwunderung und zunehmendem Ärger aufgenommen.

Begonnen hatte das Drama im vorigen Oktober. Da erklärte Israels Verteidigungsminister Benny Gantz per Handstreich sechs NGOs zu "Terrororganisationen", bei einer weiteren war dies schon 2020 passiert. Der Vorwurf: Sie würden als "organisiertes Netzwerk unter der Führung der Volksfront für die Befreiung Palästinas arbeiten".

Neun EU-Staaten, auch Deutschland, weisen den Terrorvorwurf zurück

Die marxistisch ausgerichtete Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) wird auch in den USA und Europa als Terrororganisation eingestuft. Doch für die Verbindung zwischen den NGOs und der PFLP verlangten Amerikaner und Europäer stichfeste Beweise. Ansatzpunkte boten zum Beispiel eine Beziehung Shawan Jabarins zur PFLP in Studentenzeiten in den Achtzigern. Oder, handfester, eine Anklage aus dem Jahr 2019 gegen zwei Mitarbeiter der "Vereinigung der Komitees für landwirtschaftliche Arbeit" wegen eines Mordes an einer 17-jährigen Israelin im Auftrag der PFLP.

Doch alles, was Israel vorlegte, hat die Partner nicht überzeugen können. Im Juli wiesen die Außenminister aus neun EU-Staaten, darunter auch Deutschland, in einer gemeinsamen Erklärung den Terrorvorwurf gegen die NGOs zurück und bekräftigten, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten. In dieser Woche berichtete der Guardian unter Verweis auf ein amerikanisches Geheimdienstdossier, dass auch die CIA bei einer Überprüfung keine Hinweise auf Terrorunterstützung gefunden habe.

Israel jedoch ließ sich davon nicht beeindrucken. Am 18. August schickte Verteidigungsminister Gantz die Soldaten los zur Razzia in Ramallah. Al-Haq-Direktor Jabarin vermutet, dass der Zeitpunkt auch mit dem Auftritt von Mahmud Abbas kurz zuvor in Berlin zu tun hat, wo der Palästinenserpräsident mit einem Holocaust-Vergleich entgleist war. "Vielleicht hatten die Israelis das Gefühl, dass die Europäer jetzt weniger Kritik üben."

Falls dies zum Kalkül gehörte, hat es sich nicht erfüllt: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte die Razzia "unakzeptabel" und erklärte: "Es ist von zentraler Bedeutung, dass Anti-Terror-Gesetze nicht dazu führen, die wertvolle Arbeit der Zivilgesellschaft zu untergraben." Proteste kamen auch aus Berlin und anderen EU-Hauptstädten. In Washington zeigte sich ein Sprecher des Außenministeriums "besorgt".

"Wir machen weiter", sagt Jabarin

Shawan Jabarin ist dankbar für solche Unterstützung. Doch zufrieden ist er damit nicht. "Was wir brauchen, sind nicht nur Worte, sondern Taten", sagt er und fordert "diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Druck auf Israel". Auch von Palästinenserpräsident Abbas verlangen Jabarin und die anderen NGO-Vertreter nun einen härteren Kurs gegen Israel. Er soll die Oslo-Vereinbarungen aufkündigen, die keinerlei Wert mehr hätten.

Mit dem Vorgehen gegen die NGOs hat Israel sich also auf einen riskanten Pfad begeben, der die Lage im palästinensischen Westjordanland weiter anheizen kann. Zeichen des Einlenkens gibt es bislang nicht, im Gegenteil, der Konflikt könnte eskalieren. Jabarin berichtet von einem Anruf eines Vertreters des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, der ihm "mit Haft und anderen Dingen" gedroht habe. "Aber wir haben keine Angst", sagt er. "Wir sind hier, und wir machen weiter."

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