Süddeutsche Zeitung

Israel:Israels Arbeitspartei auf Abwegen

Lesezeit: 3 min

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Avi Gabbay musste sich Angela Merkel als Vorbild vorhalten lassen. Auf sie beriefen sich Abgeordnete der israelischen Arbeitspartei (Awoda), als sie ihrem neuen Vorsitzenden in dieser Woche die Gefolgschaft verweigerten: Die konservative deutsche Bundeskanzlerin habe wenigstens moralische Haltung bewiesen und Flüchtlinge nicht im Stich gelassen. Gabbay, immerhin Chef einer Partei der linken Mitte, blieb aber bei seinem Kurs. So konnte im Parlament, der Knesset, diese Woche mit Zustimmung der Opposition ein Gesetzentwurf der Regierung die erste Hürde nehmen, der vorsieht, 40 000 afrikanische Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben.

Gabbay hatte sich nicht beeindrucken lassen von heftiger Kritik, etwa der Zeitung Haaretz, die seine Neupositionierung in der Flüchtlingsfrage als "hasserfüllten Versuch der Anbiederung an rechte Wähler" geißelte. Der 50-jährige Multimillionär und frühere Manager hat nicht nur seine Partei Awoda auf den neuen Kurs eingeschworen, sondern die ganze Zionistische Union, zu der die Arbeitspartei gehört.

Avi Gabbay trimmt Awoda auf Rechtskurs

Bisher trat die Arbeitspartei für ein Bleiberecht für Asylbewerber ein, aber in Israel nehmen Ressentiments gegen Flüchtlinge zu. Selbst Gabbays Vorgänger Yitzhak Herzog sprach plötzlich von "Eindringlingen", die arabischen Israelis die Arbeit wegnähmen. Und so begründete Gabbay auch den Richtungswechsel: "Wir würden einen hohen Preis dafür bezahlen, wenn wir gegen das Gesetz stimmen würden. Das sieht in der Öffentlichkeit nicht gut aus."

Die Traditionspartei beruft sich auf die Giganten der israelischen Politik, David Ben Gurion, Golda Meir, Yitzhak Rabin und Shimon Peres. Avi Gabbay trimmt Awoda aber auf Rechtskurs, seit er im Juli die interne Abstimmung unter den 30 000 Mitgliedern gewonnen hat. Freund und Feind überraschte er in den vergangenen Wochen mit Aussagen, die zur rechten Likud-Partei passen würden: Jüdische Siedler müssten ihren Platz nach der Umsetzung eines Friedensplans im Westjordanland nicht räumen; er wolle in keiner Koalition mit dem Bündnis dreier arabischer Parteien sitzen, der Gemeinsamen Liste. Schließlich klagte er, dass die Linken zu liberal geworden seien - auf Kosten ihres jüdischen Erbes.

Gabbay will die Arbeitspartei, die zuletzt vor 18 Jahren eine Wahl gewann, zum Sieg zu führen - auch um den Preis, bisherige Positionen aufzugeben. Er weiß: Das gelingt nicht mit linken Parolen, auch in Israel hat sich die Gesellschaft nach rechts bewegt. Die Siedlungspolitik der Regierung stößt auf breite Zustimmung. Wie in Europa wandern Arbeiter zu den vielen rechten Parteien ab, die von Benjamin Netanjahus Likud bis zu den Parteien der Minister Avigdor Lieberman und Naftali Bennett reichen.

Dass Gabbay flexibel ist und Aufstiegswillen hat, zeigt die Biografie des Mannes, der im Übergangslager Talpiot zur Welt kam, als siebtes von acht Kindern einer Einwandererfamilie aus Marokko. Er schaffte über einen Eignungstest den Sprung in eine Eliteschule und in die Eliteeinheit 8200 bei der Armee. Managerposten führten ihn dann bis an die Spitze der israelischen Telekommunikationsfirma Bezeq. Als er eine Kontrollmehrheit bei der Fluglinie El Al erwerben wollte, scheiterte er und stieg um in die Politik. Mit dem jetzigen Finanzminister Moshe Kahlon gründete er die Partei Kulanu - in Sicherheitsfragen rechts, sozialpolitisch aber links positioniert.

2015 wurde Gabbay Umweltminister, verließ jedoch nach einem Jahr die Regierung, als der rechte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman einstieg. "Diesen Rechtsruck" wolle er nicht mittragen, begründete Gabbay das damals. Heute klingt das für viele Linke wie Hohn. Genauso wie seine Ankündigung nach seiner Wahl: "Dies ist der Tag, an dem wir zu unseren Werten zurückkehren."

Der Self-Made-Man mit einem geschätzten Vermögen von 15 Millionen Dollar war erst kurz Mitglied der Arbeitspartei, da gelang ihm der Sprung an die Spitze. Dass ein Außenseiter das schaffte, war schon eine Sensation. Geradezu eine Revolution war, dass mit Gabbay und Amir Peretz allein zwei Mizrahim, orientalische Juden, um den Parteivorsitz kämpften. Denn Israels linke Gründerväter waren Aschkenasim aus Mittel- und Osteuropa.

Eine neue Mitte-links-Partei könnte zur Konkurrenz werden

Mit seinem Rechtsruck und populistischen Aussagen hat Gabbay bewirkt, dass seine Partei mit dem Wahlbündnis Zionistische Union laut Umfragen auf 20 Mandate in der Knesset kommen würde - mehr als die bei seinem Amtsantritt prognostizierten 15 Mandate. Aber weniger als die jetzt 24 Sitze. Dennoch fordert der Parteichef selbstbewusst vorgezogene Wahlen, regulär würde erst in zwei Jahren gewählt.

Überraschende Konkurrenz kommt nun von einem Vorgänger Gabbays: Ehud Barak, 75, sagt derzeit überall, er sei "unbescheiden genug", dass niemand so fähig sei wie er, das Land zu führen - auch nicht der jetzige Premier Benjamin Netanjahu. Dass Barak in die Arbeitspartei zurückkehrt, gilt als unwahrscheinlich. Ihm werden aber Ambitionen zur Gründung einer Mitte-links-Partei nachgesagt, die linker da stünde als die Arbeitspartei.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2017
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