Süddeutsche Zeitung

Islamistischer Terror in Kenia:Aus dem Koran zitieren oder sterben

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Kurz vor Einbruch der Dunkelheit startete die kenianische Armee ihren Angriff auf das Wohnheim der Universität Garissa. Zwölf Stunden nachdem vier Terroristen der islamistischen al-Shabaab-Miliz zunächst ein Massaker auf dem Campus angerichtet und sich anschließend mit Geiseln verschanzt hatten. Ihr einziges Ziel: So viele Menschen wie möglich umzubringen.

Als das nationale Katastrophenschutzzentrum weitere vier Stunden später das Ende des Angriffs bekannt gibt, bietet sich den Sicherheitskräften, die den Campus sichern, ein Bild des Grauens. Mehr und mehr Leichen zählen sie, als sie die einzelnen Häuser der Universität sichern. 147 Tote werden es am Ende sein.

Ein besonders perfides Detail: Augenzeugen sagen der Zeitung Daily Nation, die Angreifer hätten die Studenten aufgefordert, Verse aus dem Koran zu zitieren. "Sie standen vor den Wohnheimen und stellten Fragen über den Islam und den Propheten", sagte der Hochschüler Hassan Abdi. Offensichtlich ermordeten die Extremisten hauptsächlich christliche Studenten, die nicht antworten konnten.

Verheerendster Terrorangriff seit dem Anschlag auf die US-Botschaft 1998

Für Kenia ist die Geiselnahme in Garissa der verlustreichste Terrorangriff seit dem Anschlag auf die US-Botschaft in der Hauptstadt Nairobi. Im Jahr 1998 hatte die Terrororganisation al-Qaida dabei 200 Menschen getötet. Doch während der Anschlag von 1998 weiterhin der blutigste in der jüngeren Geschichte des Landes bleibt, steigt die Zahl der Angriffe von al-Shabaab - und mit ihr die Opfer, die sie fordern.

Um den Anschlag von Garissa zu verstehen, muss man wissen: Kenia und al-Shabaab befinden sich im Krieg. Es ist nur eines der zahlreichen blutigen Kapitel, die das Land mit der Terrororganisation verbindet. In den vergangenen Jahren verübte al-Shabaab immer wieder Anschläge in Kenia. Ihre Rechtfertigung beziehen die Dschihadisten durch die Präsenz kenianischer Truppen in Somalia, die mit der Friedensmission AMISOM die Regierung in Mogadischu stützen.

Wie eine Studie der Universität Maryland zeigt, ist al-Shabaab die mit Abstand aktivste Terrororganisation in Kenia. Speziell seit 2008 haben die Anschläge stark zugenommen. Als Antwort darauf startete das kenianische Militär im Oktober 2011 eine Invasion im Nachbarland Somalia. Mit der Operation Linda Nchi (Swahili für "Verteidigt das Land") sollte der Terror eingedämmt werden. Doch statt einer Eindämmung des Terrors erfolgen die Anschläge in immer kürzeren Abständen.

Dezember 2014: Massaker in einem Steinbruch

Im vergangenen Dezember machen al-Shabaab-Milizionäre wie in Garissa Jagd auf Christen. In einem Steinbruch nahe der somalischen Grenze töten sie 36 christliche Arbeiter und verschonen ihre muslimischen Kollegen. Wie die Miliz später bekannt gibt, sei es die Vergeltung für kenianische Razzien auf der Suche nach Unterstützern von al-Shabaab.

November 2014: Massenmord an Bus-Reisenden

Im Norden Kenias wird Reisenden in einem Bus gesagt, dass sie entweder aus dem Koran zitieren oder getötet werden. Kurz nachdem der Bus mit 60 Menschen in Mandera, nahe der Grenze zu Somalia, losgefahren ist, stoppen ihn Milizionäre. Wer keine Verse aufsagen kann, wird getötet. Der Anschlag fordert 28 Leben.

Juli 2014: Angriff auf Touristen in Lamu

Al-Shabaab-Terroristen eröffnen das Feuer in Lamu, einer bei Touristen beliebten Küstenregion. Sie töten 22 Menschen.

September 2013: Massaker in der Westgate Mall

Der schwerste Anschlag vor dem Massaker in Garissa findet in der Westgate Mall in Nairobi statt. Vier Tage lang verschanzen sich Terroristen von al-Shabaab in dem Einkaufszentrum. Als das Gebäude von Sicherheitskräften gestürmt wird, kollabiert ein Teil davon. Mindestens 61 Menschen sterben.

Mit dem Anschlag von Garissa ist ein weiterer Höhepunkt des Terrors erreicht. Ein Ende ist nicht abzusehen. Schon kurz nach dem Anschlag ließ al-Shabaab eine neue Drohung in einem der der Miliz nahestehenden Radiosender verlauten. "Kenia, Du wirst weitere tödliche Attacken erleben", sagte ein Sprecher der Gruppe. "Es wird keinen sicheren Ort für Kenianer geben, solange das Land Truppen in Somalia hat."

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