Süddeutsche Zeitung

Proteste gegen Regime:Iranische Regierung meldet insgesamt 200 Tote bei Unruhen

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Die Anzahl der Opfer ist die erste offizielle Angabe seit September. Sie steht allerdings in Widerspruch zu jenen von Menschenrechtsorganisationen. Aktivisten im Iran rufen derweil zu neuen landesweiten Protesten und Streiks auf. 

Eine staatliche iranische Behörde hat erklärt, dass bei den Unruhen, die seit Mitte September im Land herrschen, an die 200 Menschen getötet worden seien.

"Bis zu 200" Demonstranten, Zivilisten und Sicherheitskräfte seien unter den Toten im Zusammenhang mit den seit mehr als zwei Monaten andauernden Demonstrationen in Iran, die durch den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam ausgelöst wurden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur der Islamischen Republik (IRNA), ohne eine genaue Zahl zu nennen.

Die Angabe der "bis zu 200" Demonstranten, Zivilisten und Sicherheitskräfte unter den Toten im Zusammenhang mit den Demonstrationen ist die erste offizielle seit dem 24. September, als iranische Beamte die Anzahl der Todesopfer der Proteste auf 41 bezifferten.

Die IRNA zitierte dazu nun eine Erklärung des "Staatssicherheitsrats", eines Gremiums, das sich aus Mitgliedern der Polizei, der Streitkräfte und der Geheimdienste zusammensetzt, und die Aufgabe hat, Bedrohungen der nationalen Sicherheit einzuschätzen und abzuwehren.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehr als 400 Toten

Diese Angabe steht allerdings in Widerspruch zu jenen von Menschenrechtsorganisationen: Demnach wurden bei den Protesten mehr als 400 Menschen von Sicherheitskräften getötet, darunter zahlreiche Kinder. Die Vereinten Nationen erklärten im vergangenen Monat, dass bisher mehr als 14 000 Menschen wegen ihrer Teilnahme an den Protesten verhaftet wurden und viele von ihnen schwerer Vergehen beschuldigt werden, auf die die Todesstrafe steht. Andere wurden von der sogenannten Sittenpolizei des Iran in Gewahrsam genommen, weil sie Kleidung trugen, die angeblich gegen die islamische Kleiderordnung verstieß.

Die Tätigkeit der iranischen "Sittenpolizei" wurde inzwischen jedoch faktisch eingestellt, wie ein hoher Beamter mitteilte. Die offiziell als "Guidance Patrol" bezeichnete Einheit überwacht seit Jahren wichtige Kreuzungen und Straßen in iranischen Städten und nimmt diejenigen fest, die gegen die strengen religiösen Bekleidungsvorschriften der Islamischen Republik verstoßen.

Einerseits wird dies als ein Etappensieg für die Frauenbewegung im Iran angesehen. Andererseits wird moniert, dass dieser Schritt ohne eine Aufhebung des über 40 Jahre verhängten Kopftuchzwangs für die iranischen Frauen sinnlos wäre. "Die Auflösung der Sittenpolizei war notwendig, reicht aber nicht aus bis das Gesetz der obligatorischen Kleidervorschrift revidiert ist", so der Kommentar des Politologen Abbas Abdi auf Twitter.

Kopftuchpflicht soll geprüft werden

Irans Parlament und der Revolutionsrat würden nun allerdings auch die Kopftuchpflicht prüfen, sagte der iranische Generalstaatsanwalt Mohammad Jafar Montazeri vor Journalisten in Teheran. Am Mittwoch sollen die Parlamentarier eine Reform diskutieren, 15 Tage später würden die Ergebnisse bekannt gegeben, so Montazeri.

Für Beobachter sind Aussagen wie Auflösung der Sittenpolizei, Versprechen im Parlament über eine Revision der Gesetze oder geplante Untersuchungsausschüsse jedoch nur der Versuch des Systems, die angespannte Lage zu beruhigen.

Aktivisten im Iran haben deshalb zu neuen landesweiten Protesten und Streiks aufgerufen. Die sogenannten 14-15-16-Proteste - die Zahlen sind das Datum im persischen Kalendermonat Azar - sollen von Montag bis Mittwoch dauern und insbesondere das islamische System wirtschaftlich treffen. Daher werden die iranischen Bürger auch aufgerufen, an diesen drei Tagen Einkäufe zu vermeiden, um so jegliche Geldzirkulation im iranischen Bankensystem zu verhindern. Besonders in den wirtschaftlichen Zentren wie Basars in Großstädten sollen möglichst viele Geschäfte geschlossen bleiben, so die Aktivisten.

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