Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Iran:Das Regime hustet

Lesezeit: 4 min

Von Paul-Anton Krüger

Mit ernster Miene hat Irans Präsident Hassan Rohani persönlich eine Sitzung des Krisenstabs zur Bekämpfung des Coronavirus geleitet. Dienstagabend dann wandte er sich per Fernsehansprache an seine besorgten Landsleute. Die Islamische Republik ist mit nunmehr 19 offiziell registrierten Opfern das Land mit den meisten Todesfällen nach China. Dabei hatte die Regierung erst vor einer Woche überhaupt die ersten Infektionen und zwei Todesfälle eingestanden, zwei Tage vor der Parlamentswahl am vergangenen Freitag.

Von einer Verschwörung der Feinde Irans sprach nun der Präsident, deren Ziel sei es, Panik vor dem Virus zu verbreiten und das Land zum Stillstand zu bringen. Doch die Arbeit müsse weitergehen. Die Menschen sollten vorsichtig sein und öffentliche Versammlungen meiden. Allerdings gebe es keinen Grund, auf ausländische Medien oder die sozialen Netzwerke zu hören, die irrelevante Informationen verbreiteten - was viele Iraner entschieden anders sehen. Ihr Vertrauen in das Regime ist ohnehin schwer erschüttert seit dem Abschuss einer Passagiermaschine durch die Revolutionsgarden und den folgenden tagelangen Versuchen des Regimes, die Wahrheit zu vertuschen.

Die Beschwichtigungsrhetorik war offenkundig nötig geworden, nachdem ein Video von einem Mann in einem gelben T-Shirt und einer randlosen Brille im Gesicht bei vielen Iranern die Zweifel noch vertieft hatte, ob ihre Regierung sie nicht auch diesmal wieder belügt. Der Mann, der sich da selber filmte, heißt Iraj Harirchi und ist stellvertretender Gesundheitsminister; bis Montagabend hatte er den Krisenstab geleitet. In dem Video gab er am Dienstag nun bekannt, dass auch er sich mit dem Coronavirus angesteckt hat.

Es gehe ihm gut, er sei nur ein bisschen abgeschlagen und habe Fieber, sagte Harirchi. Das Virus sei demokratisch, fügte er hinzu, es mache keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Regierungsvertretern und dem Volk. Neben ihm haben sich auch ein Parlamentsabgeordneter und mehrere Funktionäre in Teheran angesteckt, was die Iraner auch nicht gerade als beruhigendes Zeichen werten. Er selbst habe sich jetzt isoliert, sagte der Vizeminister weiter - während die Regierung es weiter ablehnt, Quarantänen oder Reisebeschränkungen zu erlassen.

Tags zuvor hatte Harirchi noch zusammen mit Regierungssprecher Ali Rabiei eine Pressekonferenz gegeben, bei der er Anschuldigungen eines Parlamentsabgeordneten aus der im Zentrum der Epidemie stehenden heiligen Stadt Qom bestritten hatte, die Regierung vertusche das wahre Ausmaß der Krise. Man habe alles im Griff, versicherte Harirchi, dem es sichtlich nicht gut ging. Er hustete, musste sich mehrmals den Schweiß von der Stirn wischen, war aber am Abend in einer Sendung des Staatsfernsehens zu Gast. "Doktor, Sie husten doch selber", sagte die Moderatorin, aber Harirchi wiegelte ab. Er sei nur an einem kalten Ort gewesen und habe sich räuspern müssen.

Am Dienstag wurde auch noch Innenminister Abdolreza Rahmani Fazli vorgeschickt. Die Zahlen aus der Statistik des Gesundheitsministeriums zeigten, dass "die Zuwachsrate der Corona-Epidemie unter Kontrolle gebracht worden ist", verkündete er. Man hoffe, dass die Zuwächse jetzt stagnierten und die Zahl der Infektionen wieder abnehme. Präsident Rohani versicherte gar, bis zum Samstag werde sich die Situation in Iran wieder normalisieren. Die Zahlen allerdings, die offiziellen zumindest, sind das Problem. Sie sprechen dafür, dass von Iran eine Infektionswelle ausgeht, die den ganzen Nahen Osten und Südasien erfassen könnte.

Nicht einmal die WHO hat einen genauen Überblick über das, was in Iran passiert

Iran hat 19 Tote gemeldet und 120 weitere Infektionen. Schon das geht nicht auf, sofern die Mortalität in Iran nicht um ein Vielfaches höher liegt als in anderen betroffenen Gebieten, etwa in China. Dort sterben zwei bis drei von 100 Infizierten an den Folgen der Krankheit. Statistisch wären in Iran also Hunderte Infektionsfälle zu erwarten. Dazu kommt, dass außerhalb Irans in sechs weiteren arabischen Ländern sowie in Afghanistan mindestens 140 Menschen positiv auf das Virus getestet worden sind - sie waren aber ausnahmslos kurz zuvor in Iran gewesen, die meisten von ihnen in Qom. Es ist wenig plausibel, dass die Zahl der Infektionen in Iran selbst niedriger sein soll.

In einer am Dienstag veröffentlichten Studie kommen kanadische Wissenschaftler auf Grundlage statistischer Rechenmodelle zu der Schätzung, dass es in Iran mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent mehr als 18 000 Infektionen geben müsse. Selbst im besten denkbaren Szenario müssten die Zahlen mit etwa 1800 Fällen deutlich höher sein als die offiziell gemeldeten.

Eine mit der Arbeit der Krisenstäbe in der EU und bei der Weltgesundheitsorganisation WHO vertraute Person sagte der Süddeutschen Zeitung, der Ausbruch in Iran erwecke besondere Besorgnis, weil das Land "eine Blackbox" sei. Nicht einmal die WHO habe einen brauchbaren Überblick über das tatsächliche Ausmaß der Epidemie oder ihren Verlauf. Problematisch sei auch, dass der Ausgangspunkt auch nach iranischen Angaben in Qom liege, einem wichtigen Wallfahrtsort für Schiiten auch aus vielen umliegenden Ländern.

Qom ist Sitz vieler wichtiger Kleriker und mit seinen Seminaren das geistliche Zentrum Irans; mehr als 20 Millionen Menschen, unter ihnen etwa zehn Prozent Ausländer, besuchen nach Regierungsangaben pro Jahr die heilige Stadt, in der auch das zweitwichtigste Heiligtum der Schiiten in Iran liegt, der Schrein der Fatima Masumeh. Der Abgeordnete Ahmad Amirabadi-Farahani, der aus Qom kommt, sagte am Montag in einer Rede vor dem Parlament, es habe schon Mitte Februar die ersten Todesfälle gegeben. Er forderte, die Stadt unter Quarantäne zu stellen, was die Regierung aber ebenso ablehnt wie eine Schließung des Schreins.

In Kuwait wurde bei mindestens drei Menschen eine Infektion nachgewiesen, die in Maschhad gewesen waren, mit dem Schrein von Imam Reza das wichtigste Pilgerzentrum Irans und zugleich die zweitgrößte Stadt. Dort hat es aber nach offiziellen Angaben aus Teheran bislang gar keine Infektionen gegeben. Zwischen den religiösen Zentren Qom und Maschhad besteht ein regelmäßiger Austausch.

Auch aus der Reaktion der Nachbarstaaten spricht tiefes Misstrauen. Nach Irak und Kuwait haben auch die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate den Flugverkehr mit Iran eingestellt, alle sieben Nachbarstaaten haben ihre Landgrenzen zu Iran geschlossen oder lassen nur noch eigene Staatsbürger durch. In Ländern wie Afghanistan, Jemen, Syrien und auch Irak wäre die maroden Gesundheitssysteme kaum in der Lage, mit einer Epidemie umzugehen. In Iran leidet die medizinische Versorgung indirekt unter den US-Sanktionen. Der Nahe Osten könnte so nach China schnell zum neuen Brennpunkt der Epidemie werden, fürchten Experten.

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