Süddeutsche Zeitung

Irak:Beobachter befürchten Häuserkampf in Mossul

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Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Iraks Premier Haidar al-Abadi trug wieder die schwarze Uniform der Antiterror-Spezialeinheiten, als er am Dienstag in Mossul aus dem Hubschrauber stieg. Sie sind dem Regierungschef direkt unterstellt und hatten Erfolge zu melden: In der Nacht waren sie tief in den noch von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kontrollierten Westen der zweitgrößten Stadt Iraks vorgedrungen.

Sie eroberten Regierungsgebäude zurück, zwar waren diese zerstört und vom IS nicht genutzt, aber von hoher symbolischer Bedeutung. Auf dem Dach hissten sie die irakische Flagge. Die Soldaten erreichten auch die Filiale der irakischen Zentralbank und das Mossul Museum, in dem die Dschihadisten vor zwei Jahren unwiederbringliche Statuen mit Presslufthämmern malträtiert hatten. Militärisch bedeutender dürfte sein, dass die Soldaten die zweite der fünf Tigris-Brücken auch am Westufer gesichert haben.

Über die Brücken sollen neue Nachschubwege entstehen

Bewohner der Stadt berichten von den schwersten Kämpfen seit Regierungstruppen und mit ihnen verbündete schiitische Milizen am 19. Februar mit dem Vormarsch auf West-Mossul begonnen haben. Überraschend schnell gelang es ihnen, den Flughafen vier Kilometer südlich der Stadt einzunehmen und die Barrikaden zu durchbrechen, die der IS an der Stadtgrenze aus Autos, Sprengladungen und Schutt meterhoch in den Zugangsstraßen aufgeschichtet hatte. Über die Brücken sollen nun neue Nachschubwege entstehen. Die USA hatten sie auf Bitten der Iraker bombardiert, später sprengte der IS zusätzliche Segmente. Sie können aber behelfsmäßig repariert oder durch Pontonbrücken ersetzt werden.

Um den Osten der Stadt kämpften die Regierungseinheiten mehr als drei Monate, bis Abadi ihn am 25. Januar für befreit erklärte. Der IS feuert jedoch immer noch Artillerie und Raketen über den Fluss, um die Zivilbevölkerung zu terrorisieren und an der Rückkehr zu hindern. Dabei setzt er offenbar Chemiewaffen ein: 15 Menschen wurden mit entsprechenden Symptomen in Krankenhäuser in Erbil gebracht, Hauptstadt der angrenzenden Kurdenregion.

Hunderttausenden Zivilisten im Stadtwesten fehlt es an Nahrung

Im Westen sind bis zu 750 000 Menschen eingeschlossen, wie die Vereinten Nationen schätzen. Ihnen fehlt es an Nahrung und Trinkwasser, das auch im Osten knapp ist. Der IS versucht, die Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen. In die engen Straßen der Altstadt, wo sich viele Dschihadisten verschanzt halten, sind die Soldaten noch nicht vorgerückt. Generalleutnant Abdulghani al-Assadi, Kommandeur einer der Spezialeinheiten, sagte dem kurdischen Sender Rudaw dennoch, seine Leute hätten 60 Prozent ihrer militärischen Ziele im Westen Mossuls erreicht; es komme nicht auf die Anzahl der eingenommenen Gebäude an, sondern auf deren Qualität.

Allerdings fürchten viele unabhängige Beobachter, dass der härteste Teil des Einsatzes erst bevorsteht, der Häuserkampf in der Altstadt. In Ramadi, der Hauptstadt der überwiegend von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, hatten die Dschihadisten bis zum Ende gekämpft. Mehr als 80 Prozent aller Gebäude wurden dabei zerstört oder so beschädigt, dass sie nicht repariert werden können. In Ramadi hatten Zivilisten die Stadt weitgehend verlassen. In Mossul dagegen hatte die Regierung die Bewohner vor Beginn der Offensive aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben - eine umstrittene Entscheidung, die Luftangriffen und dem Einsatz schwerer Waffen enge Grenzen setzt. Die Regierung und mehr noch die von den USA geführte Internationale Militärkoalition gegen den IS wollen zivile Opfer so weit wie möglich vermeiden.

Ob es sich um eine taktische Pause des IS handelt, ist unklar

Nun fliehen allerdings Zehntausende aus den Kampfgebieten, alleine in den vergangenen sieben Tagen 50 000 Menschen - der höchste Wert seit Beginn der Offensive im Oktober. Der IS beschießt viele von ihnen gezielt auf der Flucht, mehr als 500 wurden wegen Kriegsverletzungen behandelt. Insgesamt sind derzeit 207 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben.

Laut Matthew Isler, General der US-Luftwaffe, beobachten die USA, dass Kader und ausländische Kämpfer des IS versuchen, sich aus Mossul nach Westen Richtung Tel Afar abzusetzen; der weitere Weg nach Syrien ist ihnen allerdings abgeschnitten. Das irakische Militär teilte mit, die Zahl der IS-Kämpfer in Mossul sei von über 2000 auf etwa 900 gesunken; viele sind offenbar bei Luftangriffen auf Kommandostände und Waffenlager getötet worden. Zuletzt gab es weit weniger Autobomben und Drohnen, die Sprengsätze abwerfen. Unklar ist noch, ob es sich dabei nicht nur um eine taktische Pause handelt.

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SZ vom 08.03.2017
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