Süddeutsche Zeitung

Hitler und Mussolini:Zeremonien der Zerstörer

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Rezension von Hans Woller

Mussolini weinte. Als er sich in Berlin am 29. September 1937 von Hitler verabschiedete, konnte er sich nicht mehr beherrschen. "Diese beiden Männer gehören zusammen", notierte der Augenzeuge Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, der auch die Tränen des "Duce" gesehen haben will.

Szenen wie diese lieferten den Stoff für eine der verhängnisvollsten Männerfreundschaften der neueren Geschichte oder wenigstens für deren Inszenierung. Hitler und Mussolini erscheinen darin als die Protagonisten einer innigen Beziehung, die etwa zehn Jahre währte und Sprengkraft genug besaß, um fast die halbe Welt in die Luft zu jagen.

Was hatte es auf sich mit dieser Beziehung, die zum Sinnbild der "Achse Berlin-Rom" und damit des Bündnisses zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland stilisiert wurde? Christian Goeschel, der in Manchester lehrende deutsche Historiker, ist nicht der erste, der sich mit diesem Verbrecherduo befasst.

Ganze Heerscharen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Herren Länder haben den "Duce" und den "Führer" unter die Lupe genommen und dabei primär ihr wechselvolles Zusammenspiel im Zeichen von Kooperation, Konkurrenz und Konflikt analysiert: Hitlers Werben um die Gunst des bewunderten Mussolini, das erste Treffen der beiden Diktatoren in Venedig 1934, die Annäherung von der Ausrufung der "Achse" 1936 bis zum Militärbündnis ("Stahlpakt") 1939, schließlich die gemeinsame Kriegführung gegen eine Welt von Feinden, die Entfremdung, die totale militärische Niederlage und der fast simultane Tod binnen zweier Tage im April 1945.

Das alles und noch viel mehr hat die Geschichtswissenschaft zum Thema gemacht; zuletzt der Altmeister der deutschen Faschismusforschung, Wolfgang Schieder, dessen Buch "Adolf Hitler - Politischer Zauberlehrling Mussolinis" Goeschel auch in der deutschen Ausgabe (die englische erschien 2017) ignoriert, obwohl es mehr als die Hälfte dessen ziemlich souverän behandelt, was er untersucht.

Mussolini fuhr nachts über den Brenner - er wollte die murrenden deutschsprachigen Südtiroler nicht sehen

Christian Goeschel bändigt diese disparate Fülle an Forschungsergebnissen in einem handlichen Band. Das verdient Respekt, zumal es ihm auch gelingt, die wechselnden gegenseitigen Wahrnehmungen und Einschätzungen der beiden Diktatoren und den gar nicht zu überschätzenden Stellenwert von "Führer" und "Duce" für die faschistische Allianz überzeugend herauszuarbeiten. Ohne die beiden hätte es die "Achse" nicht gegeben - und ohne sie hätte sie keinen Bestand gehabt.

Problematisch wird es dann, wenn Goeschel die traditionellen Bahnen verlässt und versucht, die alten Interpretationen durch neue zu ersetzen. Er privilegiert dabei eine "Herangehensweise", die Rituale, Zeremonien, Emotionen, Gesten und andere soziokulturelle Aspekte der Diplomatie ins Zentrum der Analyse rückt.

Abgesehen davon, dass solche Ansätze mittlerweile auch schon etwas Staub angesetzt haben, wird seit Langem nicht mehr bestritten, dass der "Umgangston" bei Gipfeltreffen und anderen diplomatischen Stippvisiten gebührende Beachtung finden muss.

Gerade der Besuch Mussolinis im Deutschen Reich 1937 und Hitlers Gegenbesuch in Italien ein Jahr später, die Goeschel detailliert, aber auch unter Rückgriff auf fragwürdige Memoirenliteratur schildert, sind von der Geschichtswissenschaft mitnichten ausgespart worden - ohne dass man freilich sagen könnte, der Kenntnisstand über die "Achse" habe sich dadurch signifikant erhöht.

Wenn Mussolini bei seinen Reisen nach Deutschland des Nachts über den Brenner fuhr, um der vermutlich murrenden deutschsprachigen Südtiroler nicht ansichtig werden zu müssen, so kann man darin durchaus eine Widerspiegelung der faschistischen Südtirolpolitik erblicken.

Goeschel weist einige Male auf diese Nachtfahrten des "Duce" hin, und er betont ebenfalls mehrmals, dass sich die frühzeitig bestehende Asymmetrie der "Achse" an der Tatsache ablesen lässt, dass Mussolini öfter in das Deutsche Reich reiste als Hitler nach Italien.

Ganz nebenbei versucht der Autor auch zu erkunden, was der Faschismus wirklich war

Recht und schön. Aber wusste man das nicht auch so schon längst? Fruchtbarer wäre es gewesen, wenn der Autor seine These, die Treffen der beiden Diktatoren wie die ganze faschistische Allianz seien inszeniert worden und diese Inszenierungen hätten eine "machtvolle politische Dynamik" entfaltet, ausführlich diskutiert und begründet hätte.

Was hat man in Szene gesetzt? Eine Freundschaft, die es nicht gab? Eine Allianz, die nur auf dem Papier bestand oder doch einen ganz realen Kern hatte? Und worin bestand er?

Goeschel lässt den Leser darüber im Unklaren, und er steht ihm auch nicht bei, wenn es um die politische Dynamik geht, die bei den Treffen zwischen Hitler und Mussolini fraglos entstand.

Wo lagen ihre Quellen? In welche Richtung wurde diese Dynamik von wem gelenkt - und mit welchem Erfolg? Wurde die "Achse" automatisch zu einer "sich selbst erfüllenden Prophezeiung"?

Antworten auf solche Fragen erhält man nur, wenn machtpolitische und ideologische Präferenzen in einem viel stärkeren Maße Beachtung finden, als Goeschel ihnen angedeihen lässt. Die Fokussierung auf Rituale, Zeremonien und Gesten oder, wie er schreibt, auf die "emotive Politik der Mussolini-Hitler-Beziehung" hilft hier genau so wenig weiter wie bei der Frage, ob die Dynamik wirklich so "machtvoll" war, wie Goeschel anklingen lässt.

Beeinflusste sie die Kontrahenten in Paris und London, in Washington und Moskau tatsächlich, und beeindruckte sie am Ende sogar Hitler und Mussolini selbst so stark, dass sie zumindest zeitweilig zu Gefangenen ihrer eigenen Inszenierungen wurden?

Die Folgen der sträflichen Vernachlässigung von Machtpolitik und Ideologie zeigen sich auch mit Blick auf zwei ganz große Probleme, die Goeschel gleichsam nebenbei lösen will, obwohl er sich dabei von den selbst gesteckten Zielen weit entfernt.

Das erste bezieht sich auf die Kohärenz der "Achse", die Goeschel für viel prekärer hält, als sie nach den Erkenntnissen der neueren Forschung war. Belege dafür bleibt er aber schuldig und muss er schuldig bleiben, weil sich die Geschichte der "Achse" nicht in der Beziehungsgeschichte der beiden Diktatoren erschöpfte, die Goeschel vor allem behandelt.

Die "Achse" war viel mehr - nämlich ein umfassendes Projekt der bilateralen Annäherung und Verständigung zur revolutionären Umgestaltung der beiden Staaten und der halben Welt. Hitler und Mussolini gaben den Anstoß dazu, der namentlich von den Parteien, von der Wirtschaft und den Wissenschaften und nicht zuletzt von den Militärführungen aufgenommen und in praktische Politik verwandelt wurde - trotz vieler Widerstände und Vorbehalte, die auch in beiden Gesellschaften bestanden, aber nie solche Ausmaße erreichten, wie Goeschel gestützt auf eine mehr als dürftige Quellenlage suggeriert.

Nicht zuletzt hatte die "Achse" einen ebenso beträchtlichen wie letalen Erfolg, wie die verheerende Verbrechensbilanz der beiden Regime beweist.

Dieser radikale Endzweck der faschistischen Allianz bleibt in Goeschels Studie genau so blass wie sein Beitrag zu dem zweiten Großproblem, das er sich en passant auch noch vornimmt. Wir, betont er, können "nicht einmal im Ansatz begreifen (...), was der Faschismus war, wenn wir nicht die politische Beziehung der beiden wichtigsten faschistischen Staatsmänner in ihrem größeren Kontext untersuchen". Große Worte, die seinen methodischen Zugriff legitimieren sollen und natürlich Appetit machen.

Wer wüsste nach fast einem Jahrhundert ebenso intensiver wie kontroverser Debatten nicht gerne mehr darüber, was der Faschismus wirklich war und wie er zu definieren ist? Wo lagen seine Wurzeln?

Welche gesellschaftlichen Schichten trugen ihn? Was bewirkte seine permanente Radikalisierung, die schließlich in Völkermord und Vernichtungskrieg gipfelte? Fragen über Fragen also, denen Goeschel sich letztlich nicht ernsthaft stellt. Am Ende bleibt es bei kühnen Ankündigungen - und bei einem knurrenden Magen.

Hans Woller ist Historiker und Autor von Biografien über Benito Mussolini (München 2016) und Gerd Müller (München 2019).

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SZ vom 24.02.2020
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