Süddeutsche Zeitung

Sozialpolitik:Widerstand gegen Hartz-IV-Pläne der Ampel

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Die Regierungskoalition möchte die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher bis Ende des Jahres streichen. Dagegen regt sich breiter Widerspruch, das Vorhaben könnte noch scheitern.

Von Roland Preuß, Berlin

Für alle, die das Hartz-System als Sündenfall des deutschen Sozialstaates ansehen, könnte bald ein Traum Wirklichkeit werden. Die Ampelkoalition in Berlin möchte die Sanktionen gegen arbeitsfähige Hartz-IV-Bezieher bis Ende des Jahres komplett streichen. Seit Ende Februar liegt ein erster Gesetzentwurf aus dem Arbeitsministerium vor, er soll noch im März durchs Kabinett. Ressortchef Hubertus Heil (SPD) begibt sich damit in eine der heißesten Streitzonen der Hartz-Reformen, die Geldkürzungen gegen Hartz-IV-Empfänger, wenn sie zum Beispiel Termine versäumen, zumutbare Jobs nicht annehmen oder eine Fortbildung jäh abbrechen. All das könnten die Jobcenter vorerst nicht mehr ahnden.

Dabei geht es nicht nur um einige Monate ohne Sanktionen, die Erfahrungen aus dieser Zeit sollen einfließen in das Bürgergeld. Dieses soll die Grundsicherung kommendes Jahr dauerhaft ersetzen. Läuft es am Arbeitsmarkt auch ohne Sanktionen aus dem Jobcenter, so wäre dies ein starkes Argument, auch beim Bürgergeld den Katalog strafwürdiger Versäumnisse zusammenzustreichen, auch wenn es beim Bürgergeld grundsätzlich weiter Sanktionen geben soll. Der bisherige Leitsatz vom "Fördern und Fordern" würde neu ausgerichtet, das Fordern weitgehend ohne Androhung von Konsequenzen auskommen müssen.

Gegen das Streichen der Sanktionen, das sogenannte Sanktionsmoratorium, regt sich allerdings Widerspruch - und zwar in bemerkenswerter Breite. Da ist zunächst die Union im Bundestag. "Was bringen Mitwirkungspflichten, wenn sie nicht durch Sanktionen auch durchgesetzt werden können? Nichts. Das ist mit uns nicht zu machen", sagt der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Hermann Gröhe (CDU). Die Aussetzung der Sanktionen sei auch denen gegenüber ein falsches Signal, die ihren Mitwirkungspflichten selbstverständlich nachkämen, sagt der frühere Gesundheitsminister. Für Gröhe ist das Moratorium ein Schritt hin zum bedingungslosen Grundeinkommen, also ein staatliches Basisgehalt ohne Voraussetzungen.

Aber es ist nicht nur die stets Hartz-treue Union, die Einspruch erhebt. In Stellungnahmen zum Gesetzentwurf von Anfang März zeigen auch Behörden, Forschende und Verbände ihre Skepsis: Man lehne eine "zwischenzeitliche vollständige Aussetzung" der Sanktionen ab, schreibt ausgerechnet die Bundesagentur für Arbeit, welche das Gesetz zuvorderst umsetzen müsste. Die Agentur erklärt, dass im Zuge der Corona-Pandemie ohnehin bereits das Vermögen von Hartz-IV-Beziehern grundsätzlich nicht mehr geprüft werde. Wenn jetzt auch noch die Sanktionen wegfielen, so könne dies "als unfair empfunden werden" - und zwar sowohl bei anderen Menschen in der Grundsicherung als auch bei der "finanzierenden Gemeinschaft der Steuerzahler".

Treibende Kraft hinter dem Streichen der Sanktionen sind die Grünen

Ähnlich klingt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der wissenschaftliche Arm der Arbeitsagentur. Der Deutsche Städtetag lässt ausrichten, er halte die Pläne für "nicht zielführend". Sogar der Sozialverband Deutschland, ein unermüdlicher Kritiker der Hartz-Sanktionen und des Neoliberalismus unverdächtig, schreibt, finanzielle Konsequenzen müssten als letztes Mittel "weiterhin möglich sein".

Die Sanktionen waren in den vergangenen Jahren bereits weitgehend entschärft worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte sie Ende 2019 eingeschränkt, seitdem darf die Behörde selbst bei notorischen Verweigerern höchstens 30 Prozent der staatlichen Stütze streichen - und nicht mehr alles, wie es in seltenen Extremfällen vorkam. 2020 fiel dann die Vermögensprüfung grundsätzlich weg, zudem übernimmt das Jobcenter vorerst klaglos die Wohnkosten, auch wenn die Wohnung eigentlich als zu teuer gilt. Zuletzt wurden noch 1,4 Prozent der arbeitsfähigen Hartz-IV-Bezieher sanktioniert, so die jüngsten verfügbaren Zahlen vom November 2021.

Treibende Kraft in der Ampel hinter dem Streichen der Sanktionen sind die Grünen, sie haben sich sowohl gegenüber Arbeitsminister Heil als auch der FDP durchgesetzt, die beide ein Druckmittel in der Hand behalten wollen, vor allem die FDP. "Wir halten uns an den Koalitionsvertrag und tragen das Sanktionsmoratorium mit", sagt der Sprecher für Bürgergeld der FDP-Fraktion, Jens Teutrine. Aber: "Ich glaube nicht, dass das Bürgergeld ohne Sanktionen als ultima ratio auskommt." Es gebe keinen "Automatismus hin zur Sanktionsfreiheit beim Bürgergeld", sagt Teutrine, sie sei nur "ein Zwischenschritt bis zur Neuordnung der Sanktionen". Man kann auch sagen: Ein Geschenk an die Grünen mit Verfallsdatum.

Ob die Grünen das Geschenk letztlich in Empfang nehmen können, ist trotz der koalitionären Harmonie ungewiss. Wenn die Union im Bundesrat zustimmen muss, dürfte aus der Bescherung nichts werden. Das Arbeitsministerium erklärt, der Bundesrat müsse nicht zustimmen, in der Union prüft man diese Frage indes noch. Verzögern könnten CDU und CSU im Bundesrat das Vorhaben allemal - und so das im Koalitionsvertrag vereinbarte Jahr ohne Hartz-Sanktionen auf einen Herbst ohne Mahnbriefe vom Amt zusammenschrumpfen lassen.

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